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Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)

Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Menschen mittreiben; sie wusste nicht, wo sie hinmusste, aber jetzt jemanden um Auskunft zu bitten wäre sinnlos gewesen.
    Die Flagge der Niederlande war es, die ihr den Weg wies; die Trikolore, die im trüben Licht nur noch Grautöne aufwies und die von ihrem leicht erhöhten Standort gut zu sehen war. Floortje behielt sie fest im Blick, während sie zwischen den von Laternen beleuchteten Holzhäusern hindurchging. Zwischen den Stelzen unter den Häusern trieben Männer und Frauen ihr Vieh zusammen, stapelten Säcke um oder schleppten sie die Treppen hinauf. Ein paar Familien ergriffen mit Sack und Pack, mit greinenden Kindern und angeleinten Schweinen gleich die Flucht ins Landesinnere.
    Vor dem kleinen Steinhaus blieb Floortje schließlich stehen. Die Fenster waren dunkel, ebenso die umliegenden Wirtschaftsgebäude; nur in dem größeren Haus auf der Erhebung nebenan brannte Licht.
    Eine Männerstimme hinter ihr ließ sie sich umdrehen. Am Eingang eines Schuppens schnürte ein einheimischer Mann, das Gesicht zerknittert wie Teeblätter, im Schein einer Laterne Bündel zusammen und nickte ihr freundlich zu.
    »Sprechen Sie vielleicht Holländisch?«, fragte Floortje, und als er wieder nickte, fügte sie hinzu: »Ich möchte zu Herrn Beyerinck.«
    Der Mann schüttelte den Kopf. » Tuan besar nigt da. Heut nigt Arbeit. Heut Feiertag.« Er machte einen Schritt auf Floortje zu und wies auf das andere Haus. »Gehn da. Haus von tuan besar und nyonya besar .«
    Floortje bedankte sich und stapfte den Pfad hinauf. Stockfinster war es mittlerweile, obwohl es kaum später Nachmittag sein konnte. Vom Meer her waren immer wieder krachende Schläge zu hören, und die Luft roch scharf und beißend nach Rauch und Schwefel.
    Entschlossen klopfte Floortje an die massive Eingangstür. Sie konnte Stimmen hören und einen spitzen Schrei, als klirrend etwas zu Bruch ging. Ein einheimisches Mädchen öffnete die Tür; auf der Hüfte hielt sie einen blonden Jungen sitzen, der nicht viel älter sein konnte als ein knappes Jahr.
    »Entschuldigen Sie bitte«, sprach Floortje sie an. »Ich möchte zu Herrn Beyerinck. – Tuan besar «, fügte sie hoffnungsvoll hinzu.
    Das Mädchen setzte zu einer Antwort an, aber eine Frauenstimme aus dem oberen Stockwerk hielt sie davon ab. Über die Schulter rief das Mädchen etwas hinauf und bekam eine ungehaltene Erwiderung zu hören; dennoch erschien gleich darauf eine Frau in Sarong und Kebaya auf der Holztreppe. Sie mochte ungefähr so alt sein wie Jacobina, aber ihre scharfen Züge, der resolute Zug um ihren Mund und die verkniffenen Augen ließen sie älter wirken.
    »Guten Tag«, sagte Floortje schüchtern. »Sind Sie Frau Beyerinck?«
    »Ja. Wer sind Sie? Was wollen Sie?« Sie klang ungeduldig, beinahe gereizt.
    »Floortje Dreessen.« Seltsam fremd fühlten sich die Silben in ihrem Mund an, zu lange hatte sie sie nicht mehr ausgesprochen, zu lange war sie Fleur gewesen. »Ich wollte zu Herrn Beyerinck. Es geht um Jacobina van der Beek.«
    Die Hausherrin schien zu überlegen. »Ach ja«, erwiderte sie schließlich. »Das ist jetzt nur leider sehr ungünstig.«
    »Könnte ich vielleicht zu ihr?« Bittend sah Floortje sie an.
    »Das Gefängnis ist im Amtsgebäude drüben. Dafür ist mein Mann zuständig, und der ist gerade nicht da. Er ist zum Strand, wegen all dem hier.« Ihr Kopf ruckte in Richtung der rebellierenden Naturgewalten in der Bucht.
    »Dürfte ich bitte auf ihn warten?«
    Frau Beyerinck zögerte und seufzte dann. »Von mir aus. Kommen Sie mit herauf.«

45
    Im Salon der Beyerincks stand Floortje am Fenster und sah in die Finsternis hinaus. Vorhin hatte die Uhr auf der Konsole sechs Uhr abends geschlagen, und doch war es so dunkel, als wäre schon tiefste Nacht. Dunkler sogar noch, denn man sah keine Sterne, keinen Mond. Aber ab und an flackerte von den Inseln her Licht auf, manchmal gedämpfter und rötlich, dann wieder gelblich und grell wie ein scharfer Blitz, das für einige Sekunden jede Kontur, jede Form herausstechen ließ; ein Aufzucken von Licht, das so hell war, dass es in den Augen schmerzte, bevor sofort wieder ununterscheidbare Finsternis herrschte. Wie Hagel klangen die Steinbröckchen, die auf das Dach und vorne auf die Veranda niederprasselten, und immer wieder waren vom Meer her Donnerschläge zu hören, unter denen es rumpelte und grollte und die das Haus und den Boden unter Floortjes Schuhen erzittern ließen. Im Grunde hatte sie erst jetzt richtig begriffen, dass dort

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