Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
drüben, auf der großen Insel, an der sie heute Nachmittag mit dem Dampfkahn vorbeigefahren war, gerade ein Vulkan ausbrach, und dank Frau Beyerinck wusste sie nun auch den Namen der Insel: Krakatau.
Wirkliche Angst verspürte Floortje keine; vielleicht war sie durch die Zeit mit Kian Gie abgestumpft, vielleicht lag es aber auch daran, dass der gespenstische Feuerzauber weit genug entfernt schien, bestimmt mehr als zwanzig Meilen, und zu wissen, dass mit der Bucht ein breites Band aus Wasser zwischen dem Vulkan und ihr lag, gab ihr ein gewisses Gefühl der Sicherheit. Auch vor Kian Gie; sie hoffte, das Wüten auf der Insel zwischen Java und Sumatra würde ihm den Weg abschneiden, sollte er sie hier vermuten und aufspüren wollen.
Sie hörte Stimmen hinter sich und drehte sich um. Am Tisch des heimelig erleuchteten Zimmers mit den schweren, dunklen Möbeln saß Frau Beyerinck vor einem Teller mit Huhn und Reis. Während Floortje den ihren hungrig geleert hatte, war derjenige der Hausherrin noch immer unberührt. Einer der Hausdiener beugte sich über sie und sprach leise auf sie ein, und auch wenn Floortje die Worte nicht verstand, verrieten ihr Tonfall und Mimik der beiden, dass er versuchte, sie zum Essen zu überreden, sie aber keinen Bissen hinunterbrachte. Auf dem Sofa lenkte die Kinderfrau den größeren Jungen mit einem Fingerspiel ab, und das Mädchen wanderte ruhelos von einem Zimmer ins andere, eine Puppe an sich gepresst.
Floortje richtete den Blick wieder auf den grollenden und blitzenden Vulkan; hinter ihr wurde ein Stuhl zurückgeschoben, und Frau Beyerinck trat zu ihr.
»Entschuldigen Sie, dass ich vorhin so barsch zu Ihnen war. Das war alles ein bisschen viel für mich. Seit ein paar Tagen haben wir die Cholera hier am Ort, und uns ist auch schon ein Mädchen weggestorben. Ausgerechnet das Mädchen, das die Wäsche der Kinder gemacht hat.« Frau Beyerinck seufzte. »Können Sie sich dann vielleicht vorstellen, wie es mir ohnehin schon geht. Und nun auch das noch.« Ihr Kinn ruckte auf den wutschnaubenden Vulkan hinaus.
»Schon in Ordnung«, erwiderte Floortje. Ich bin Schlimmeres gewöhnt. »Herr Beyerinck wird meine Freundin doch hoffentlich freilassen, sollte … sollte es ernst werden?« Vorsichtig sah sie Frau Beyerinck von der Seite her an.
»Ja, natürlich. Er müsste auch schon längst wieder zurück sein. Ich verstehe gar nicht, wo er bleibt.« Unruhig strichen ihre Hände über den Sarong. »Ich wollte ja heute Nachmittag schon fort, in unser Häuschen oben am Berg, aber mein Mann hat keine Veranlassung dazu gesehen. Wirklich ernst scheint es dann wohl nicht zu sein. Zumindest für uns hier nicht.« Ein Lichtfleck wie von einer Laterne tänzelte den Garten herauf, und sie machte den Hals lang. »Das könnte er sein. – Willem!«, rief sie hinaus. »Willem, bist du das?«
Eine Männerstimme antwortete auf Malaiisch, und jetzt konnte Floortje auch den dazugehörigen Schattenriss zwischen den Silhouetten der Bäume und Sträucher ausmachen.
»Ach nein«, sagte Frau Beyerinck mit banger Enttäuschung. »Das ist nur einer unserer Diener.« Sie rief auf Malaiisch zurück, und er antwortete wieder, bevor er unterhalb der Veranda verschwand.
»So was habe ich ja noch nie gehört«, brummte Frau Beyerinck in sich hinein, und auf Floortjes fragenden Blick hin erklärte sie: »Er meinte gerade, der Seegeist Antoe Laoet sei gekommen und habe das Meer fortgeholt. Eigentlich müsste jetzt Flut herrschen, aber selbst die Korallenriffe, die sonst bei Ebbe noch von Wasser bedeckt sind, liegen wohl frei.« Sie schüttelte den Kopf. »Seien Sie mir bitte nicht böse, Fräulein Dreessen, aber ich muss mich ein wenig hinlegen. Wer weiß, wie lang die Nacht noch wird.«
Floortje sah ihr nach, wie sie mit müden Schritten davonging, und bevor sie sich wieder dem Fenster zuwandte, warf sie noch einen Blick auf die Uhr. Kurz vor halb sieben. Steinchen trommelten und klackerten auf das Dach und den Steinboden, und vom Vulkan her grollte und krachte es weiterhin. Doch darunter war noch etwas anderes zu hören, und Floortje horchte auf.
Es klang wie das langgezogene, tiefe Einatmen eines riesigen Fabelwesens, das kurz die Luft anhielt und sie dann brüllend und fauchend wieder ausstieß. Ein Lichtblitz flammte auf, und Floortjes Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie die haushohe Flutwelle sah, die heranrauschte.
Jacobina hörte ein gewaltiges Röhren und Schnauben, das unter krachenden Schlägen in
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