Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
bis das Kind wieder gleichmäßiger atmete, und presste den vertrauten, so schmerzlich vermissten kleinen Körper, wie sie selbst nur in Kebaya und Unterhosen gekleidet, an sich.
»Ich hab dich, meine Kleine«, schluchzte sie. »Ich hab dich!«
Und als sich Idas Finger in die Kebaya krallten und sie zitternd den Kopf gegen Jacobinas Brust drückte, wurde ihr Herz groß und weit.
Auf ihrem Hinterteil rutschte Jacobina zurück ans Geländer, legte sich halb hin, löste einen Arm von Ida und streckte ihn durch die Lücke hinaus. »Griet!«
Es war der Moment, in dem die Flut zum Stillstand kam. In dem ein Staccato an Lichtblitzen eine spiegelglatte Wasserfläche enthüllte. Ein Moment der Ruhe. Ein Moment des Atemschöpfens. Herrlich und beängstigend zugleich.
Wasser spritzte auf, als sich Vincent de Jong abstieß und mit zwei kräftigen Armschlägen die Palme erreichte. Mit einer Hand hielt er sich daran fest, mit der anderen zog er seine Frau an sich. Erschöpft ließ sie den Kopf an seiner Schulter ruhen, und sein Mund legte sich an ihre Stirn. Dann trafen sich seine Augen mit Jacobinas. Vielleicht war es das Licht, das gespenstisch flackernde Licht, das sie in seinem Gesicht nicht nur die tiefen Linien erkennen ließ, die die Erschöpfung hineingeritzt hatte. Sondern auch so etwas wie Erleichterung. Ein beinahe sanftmütiger Friede, und sie glaubte zu sehen, wie er ihr zunickte.
Ein Flüstern hob an, steigerte sich zu einem Brausen und Fauchen, und gurgelnd und schäumend strömte das Wasser zurück, zurück ins Meer, wo es hergekommen war. Wie einen Grashalm pflückte die zurückrauschende Flut die Palme und verschlang sie.
Jacobina presste Ida so fest an sich, wie sie konnte. Das Haus unter ihr erzitterte, bebte und wackelte in Finsternis und flackernden Lichtern; Lichter, die so grell waren, dass Jacobina sie noch zucken sah, als sie die Augen schloss.
Und dahinter eingebrannt war das Bild von Vincent und Margaretha de Jong, die einander umklammert hielten, während die Flut sie mit sich riss.
46
Ein Geisterzug war es, der die Steigung erklomm, zwischen den Häusern am Rand von Ketimbang hindurch, die die Flut verschont hatte, und an denen vorbei, die bereits zu hoch lagen, als dass das Wasser sie erreicht hätte. Ein Marsch schon jetzt erschöpfter und bis ins Mark erschütterter Gestalten, die das wenige Hab und Gut, das sie noch hatten retten können, mit sich schleppten, und viele, die nichts mehr besaßen als die Kleider, die sie am Leib trugen. Einzelne Laternen tanzten dazwischen umher und spendeten gleichermaßen ein tröstliches Licht, wie sie die bewegten Silhouetten der Menschen noch gespenstischer wirken ließen. Ab und zu war das panische Krähen eines Hahns zu hören oder die Schreie eines verendenden Tieres.
»Es tut mir wirklich sehr leid«, hörte Floortje die Stimme Herrn Beyerincks neben sich, und sie sah auf. Seinen Jungen huckepack auf dem Rücken, klebte ihm das Haar nass am Kopf, und seine Miene spiegelte im Laternenschein nicht nur den Schrecken der vergangenen Stunden wider, sondern auch Sorge und Schuld. »Wir«, er nickte zu seinem Sekretär hinüber, einem spillerigen Männchen namens Tojaka mit einem hageren Gesicht und einem Profil wie ein Kakadu, der das Mädchen der Beyerincks auf seinem schmalen Rücken trug, »wir wollten sie gerade herauslassen, da kam auch schon das Wasser. Wir konnten nichts mehr tun, außer uns selbst noch auf die Palmen neben dem Haus zu retten.« Er schwieg einen Moment und schluckte; Floortje konnte den Adamsapfel an seiner Kehle auf- und abrutschen sehen. »Keiner von uns hat damit rechnen können.«
Floortje nickte, blieb aber stumm. So wie all die anderen Male, die Herr Beyerinck ihr das nun schon gesagt hatte, seit er nach dem Rückzug des Wassers ins Haus gerannt gekommen war, um seine Frau und Kinder und die Dienstboten von der Küste wegzubringen.
Natürlich trug er keine Schuld; niemand hatte wissen können, dass eine solch zerstörerische Flut über den niedriger gelegenen Teil von Ketimbang hereinbrechen würde. Auch Floortje nicht, und trotzdem spürte sie eine erstickende Schuld auf sich lasten. Eine Reue fraß sich durch sie hindurch, die ihr die Luft zum Atmen nahm. Sie wünschte, sie hätte sich in der Zeit, die sie im behaglichen Salon der Beyerincks damit verbracht hatte, zu warten, zu Abend zu essen und das Spektakel des zornigen Vulkans zu betrachten, stattdessen lieber vor das Amtsgebäude gestellt und nach Jacobina
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