Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
gerufen. Einfach nur, damit diese wusste, dass sie nicht allein, sondern dass sie, Floortje, bei ihr war; einfach, um vielleicht selbst noch einmal Jacobinas Stimme zu hören. Hätte sie schon früher den Mut aufgebracht, aus dem Haus von Kian Gie zu fliehen, wäre Jacobina vielleicht noch am Leben, und hätte sie den Mut besessen, Jacobina nach jenem Abend auf Rasamala zu schreiben oder gleich zu ihr zu fahren, wäre in ihrer beider Leben sicher vieles anders gekommen. Im Rückblick schien ihre Scham, die sie davon abgehalten hatte, Jacobina von ihrer Vergangenheit zu erzählen, dumm und bedeutungslos.
Mit dem Ärmel wischte sich Floortje über die feuchten Augen; unwillkürlich war sie immer langsamer gegangen und hinter den Beyerincks zurückgefallen. Sie war so müde, ihre Beine waren so schwer, aber viel schwerer noch war ihr Herz. Kläglich schluchzte sie auf; dann packte sie das Bündel, das man ihr in die Hand gedrückt hatte, fester und setzte sich wieder in Bewegung, um den Beyerincks hinterherzutrotten. Weil sie nicht wusste, was sie sonst auch anderes hätte tun sollen.
Jacobina kniete neben dem Geländer, dort, wo bis zur Flut noch eine Treppe gewesen war. Sie griff Ida unter den Achseln und ließ sie vorsichtig hinunter, in die Arme eines der einheimischen Männer, die zufällig vorbeigekommen waren und ihr mit Gestik und Mimik im Schein ihrer Laternen Hilfe angeboten hatten.
»Gleich, Mäuschen«, sagte Jacobina, als Ida einen Jammerlaut von sich gab und strampelte, während sie weitergereicht wurde. Einem der Männer warf Jacobina die beiden Sarongs zu, die sie im Inneren des Hauses gefunden hatte, bevor sie auf Knien herumrutschte und erst ein Bein über die Kante herunterhängen ließ, dann das andere, während sie sich mit Unterarmen und Oberkörper auf dem Holz ausbalancierte und schließlich sprang. Unsanft landete sie erst in der Hocke, dann auf dem Hinterteil im Schlamm.
Einer der Männer lachte und streckte ihr die Hand hin, an der sich Jacobina hochziehen ließ. Den einen Sarong wickelte sie schnell um ihre Taille, mit dem anderen ging sie in die Knie und schickte sich an, sich Ida auf die Hüfte zu binden. Der Mann schnalzte abfällig mit der Zunge und bedeutete ihr mit Gesten, wie sie sich hinzustellen hatte; mithilfe eines anderen Mannes setzte er ihr Ida huckepack auf den Rücken und wickelte und knotete den Sarong so geschickt um Jacobina, dass sie das Mädchen sicher und wohlgeborgen mit sich tragen konnte.
» Terima kasih «, sagte Jacobina mit einem Nicken, und Idas Ärmchen um ihren Hals gelegt, den kleinen Körper des Kindes warm an ihrem Rücken, folgte sie den Männern, um im Landesinneren Zuflucht zu suchen. Für sich, vor allem aber für Ida.
Aus allen Richtungen wanderten Menschen heran und hielten auf die Reisfelder zu, auf die dahinterliegenden Wälder, um sich irgendwo an den Hängen des Rajabasa in Sicherheit zu bringen. Die Donnerschläge des Vulkans auf Krakatau klangen von Mal zu Mal zorniger, und sein flackerndes Licht beleuchtete die finstere Wolke aus Rauch, die über seinem Gipfel hing. Die Luft war erstickend, erfüllt von den schwefligen und brandigen Miasmen von Feuer, Qualm und flüssigem Gestein, und auch der heiße Regen aus Bimsstein und Asche nahm zu; aus der Ferne konnte man das satte Geräusch hören, wenn ein besonders großer Gesteinsbrocken im Schlamm aufschlug, den die Flut hinterlassen hatte.
Floortje blieb kurz stehen, um die Schulter zu wechseln, auf der sie das Bündel trug. Wie golden leuchtende Glühwürmchen zitterten die Laternen der Einheimischen den Abhang herauf und beschienen das helle Gesicht, das helle Haar einer Frau, die die braunhäutigen Männer und Frauen bei Weitem überragte, obwohl sie leicht gebückt ausschritt, weil sie ein Kind auf dem Rücken trug. Floortjes Augen weiteten sich ungläubig, und heftig rieb sie mit der Faust die Tränen weg, die ihr die Sicht behinderten. Ihr Herz machte einen Sprung und schien dann Flügel zu bekommen; ein Lächeln zuckte auf ihrem Gesicht auf, dehnte sich zu einem Strahlen aus, und sie rannte los.
»Jacobina!«
Verwundert blieb Jacobina stehen und sah sich nach allen Seiten um.
»Jacobina!«
Ihr Herz setzte einen Schlag aus und verfiel dann in ein heftiges Pochen. Ein blasses, herzförmiges Gesicht drängte sich durch die dunkle Menge, die Katzenaugen darin strahlend und nass vor Tränen. Wie von selbst breiteten sich Jacobinas Arme aus und fingen Floortje darin auf, die sich mit
Weitere Kostenlose Bücher