Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
aller Kraft ihres zierlichen Leibes gegen sie warf. Das Bündel fiel zu Boden, als Floortje Jacobinas Schultern umklammerte und das Gesicht in ihre Halsbeuge drückte, und beide lachten und weinten zugleich.
»Ich wollt dich da rausholen«, heulte Floortje gegen Jacobinas Hals, »und hab auf Beyerinck gewartet, und dann kam die Flut, und ich … ich dachte, du wärst tot!«
Jacobina presste Floortje fester an sich. Sie wollte nicht daran denken, wie nahe sie dem Tod wirklich gewesen war. »Woher wusstest du davon? Und warum hast du nicht mehr geschrieben?«
Floortje hob den Kopf und rieb sich mit dem Ärmel über das nasse Gesicht und die laufende Nase. »Lange Geschichte«, schniefte sie mit zittrigem Lächeln. »Beides.« Ihr Blick fiel auf das kleine Mädchen, das die Wange in Jacobinas Nacken geschmiegt hielt und verängstigt dreinblickte. »Ist das …«
»Ida. Ja.«
Floortje zögerte und senkte dann ihre Stimme zu einem Flüstern. »Und ihre Eltern?«
Jacobina biss sich auf die Lippe und schüttelte den Kopf.
»Arme Kleine«, hauchte Floortje unter neuen Tränen und streichelte unbeholfen Idas Knie unter dem Sarong, in dem sie an Jacobinas Rücken festgebunden war.
»Fräulein Dreessen?«, rief eine Männerstimme in einiger Entfernung. »Fräulein Dreessen?!«
»Komm!« Floortje hob ihr Bündel wieder auf, fasste Jacobina bei der Hand und zog sie mit sich. »Ich bin hier, Herr Beyerinck!«
Er strauchelte beinahe, als er Jacobina sah; dann schien ein erleichtertes Lächeln auf seinem schmalen Gesicht auf. »Gott sei Dank, Fräulein van der Beek!« Das Lächeln erstarb, und er schluckte. »Wir wollten Sie gerade rauslassen, da …«
»Schon gut«, fiel Jacobina ihm spröde ins Wort. Wäre sie nicht mit den Trümmern des Amtsgebäudes fortgerissen worden und durch eine glückliche Fügung des Schicksals genau an diesem einen Holzhaus angespült worden, wäre Ida jetzt nicht mehr am Leben. Das war es wert gewesen, und das war alles, was jetzt noch zählte. Und dass Floortje sich nicht von ihr abgewandt, sie auch nicht vergessen hatte, sondern allein ihretwegen nach Sumatra gekommen war. Sie umfasste Idas Füßchen, das sich gekrümmt gegen einen ihrer Rippenbögen schmiegte. Neue Tränen stiegen ihr in die Augen, und leiser und sanfter wiederholte sie: »Schon gut.«
»Kommen Sie«, sagte Herr Beyerinck in ihre Gedanken hinein und ruckte mit dem Kopf in Richtung der Bergflanke. »Wir haben noch ein ordentliches Stück vor uns.«
Inmitten der Hunderten von Menschen, die im Schein der Lampen und in den zuckenden Lichtern des tobenden Vulkans aus den Überresten Ketimbangs und der umliegenden Kampongs bergan stapften, waren zwei Männer stehen geblieben. Von dem Moment an, in dem Floortjes Ruf über die Anhöhe geschallt war, hatte sich ein Paar schwarzer, mandelförmiger Augen auf sie geheftet und sie nicht mehr losgelassen.
Kian Gie hob den Zeigefinger und bedeutete Jian wortlos, in welche Richtung sie weitergehen würden.
47
Der Marsch durch die Reisfelder war mühsam und kräftezehrend. Besonders für Jacobina; auf Dauer wurde ihr Ida zu schwer, vor allem, als das kleine Mädchen irgendwann vor Schrecken und Erschöpfung einschlief und schlaff auf ihr hing. Jacobinas Rückgrat schien kurz vor dem Zerbrechen wie ein dürrer Ast, die Muskeln, die es umgaben, verzogen und überdehnt, und ihre Beine zitterten bisweilen wie Laub, durch das ein Windstoß strich. Die sonst bei Tag lichtgrünen Teppiche mit dem dichten Flor aus den so zart aussehenden Halmen boten zähen Widerstand, und bei jedem Schritt durch das Wasser sanken die Füße in Schlamm ein. Floortje verlor einen Schuh und ließ den zweiten dann auch gleich dort, und einmal versackte Jacobina unter dem zusätzlichen Gewicht Idas bis über die Knie im Matsch, und Floortje packte sie fest bei der Hand und zerrte an ihr, um ihr herauszuhelfen. Und unablässig brüllte und röhrte es hinter ihnen, als ob das Meer noch einmal seine Fänge nach ihnen ausstreckte, und das Krachen und Poltern des Vulkans klang so zornig wie das eines antiken Gottes, der auf Rache aus war.
Als Frau Beyerinck etwas zu Tojaka, dem Sekretär ihres Mannes, sagen wollte, brachte sie keinen Ton heraus; mit Gesten bedeutete sie, dass ihre Kehle wehtat, und als sie dabei an ihren Hals fasste, war dieser von Blutegeln bedeckt. Immer wieder mussten sie stehen bleiben, um sich die fetten, schleimigen Würmer abzuziehen, die sich gierig auf ihre nackten Beine stürzten, daran
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