Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
Floortje schaute auf die Landungsbrücke hinunter, auf die sich entfernenden Silhouetten der Ter Steeges und der Verbrugges, dann auf ihre Schuhspitzen. »Um ehrlich zu sein – ich muss ein bisschen sparen.« Den Kopf gesenkt, rieb sie über den obersten Holm der Reling. »Bitte … bitte erzähl das niemandem, ja?«
»Nein, natürlich nicht«, kam es mechanisch von Jacobina, während sie in Gedanken schon einen Schritt weiter war. Sie dachte an das Sträußchen, das Floortje ihr in Neapel geschenkt hatte. Sie dachte oft daran, obwohl es längst verwelkt und der klägliche Überrest von einem der Kabinenstewards weggeräumt worden war. Ein paar der Blüten hatte sie zwischen den unbedruckten Seiten eines ihrer Bücher gepresst. Und sie dachte daran, wie Floortje sich um sie gekümmert hatte, als sie seekrank gewesen war; sie schuldete ihr etwas. »Du … du kannst ja vielleicht bei mir schlafen – also, falls du das möchtest.«
Ungläubig sah Floortje sie an, und ein Strahlen zog auf ihrem Gesicht auf. »Wirklich?! Oh danke! Danke, Jacobina! Das ist so lieb von dir!« Jacobina hielt erschrocken die Luft an, als Floortje ihr um den Hals fiel, und atmete erleichtert aus, als sie sie wieder losließ. »Ich packe nur schnell ein paar Sachen zusammen. Ich beeil mich auch!«
Jacobina sah ihr nach, wie sie davonhastete, und erst dann begann sie darüber nachzudenken, was dieses Angebot, so schnell und unüberlegt ausgesprochen, wirklich bedeuten würde. Sie hatte noch nie mit jemandem zusammen in einem Zimmer geschlafen und eigentlich auch kein Verlangen danach. Und sie wusste nicht, wie groß die Zimmer im Grand Oriental waren und ob mit einem oder zwei Betten ausgestattet. Bei der Vorstellung, womöglich mit Floortje das Bett teilen zu müssen, wurde ihr bang. Worauf habe ich mich da nur eingelassen?
Buttergelb fiel das Licht der Öllampe auf dem Nachttisch durch das feine Gewebe des Moskitonetzes, flackerte über die hohen Pfosten mit aufwändiger Schnitzerei und fing sich unter dem gemusterten Seidenstoff des Baldachins. Den Kopf in eine Hand gestützt, ein aufgeschlagenes Buch auf dem Leintuch neben sich, lauschte Jacobina den Geräuschen, die durch die geöffneten Flügeltüren des Balkons in das Hotelzimmer fluteten. Der wehmütige Abendgesang eines tropischen Vogels und das metallene Lied der Zikaden; das sanfte Rauschen in den Baumwipfeln, vielleicht auch das des nahen Meeres und die lebhaften Klänge der noch immer umtriebigen Stadt. Eine Stadt, von der sie auf der Fahrt vom Hafen hierher nur wenig gesehen hatte, im Zwielicht von Dunkelheit und Laternenschein, nur die beleuchteten Fassaden von Kontoren, Lagerhäusern und von eleganten Geschäftshäusern, und doch war die Stimmung eine von fremdartigem Zauber gewesen. Sie freute sich auf den Morgen, wenn sie alles noch einmal bei Tageslicht, in Farben und allen Details sehen würde.
Es war seltsam, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, und herrlich war es, wieder in einem richtigen Bett zu liegen, auf einer dicken, luxuriösen Matratze, die sich kein bisschen bewegte oder gar schaukelte, und mit einem wohligen Seufzen streckte Jacobina ihre Beine von sich. Nach der engen Schiffskabine kam ihr der großzügige Raum vor wie ein Ballsaal. Das Grand Oriental machte seinem Namen alle Ehre; die schweren Möbel aus dunkel schimmerndem Holz und die bunt gemusterten Seidenteppiche, die fremdartigen Gemälde in ihren Goldrahmen und die in üppige Falten drapierten Vorhänge in leuchtenden Farben, mit Borten und Troddeln aus goldfarbenem Garn erinnerten an die Pracht indischer Paläste. Ebenso die Chaiselongue mit ihrem seidig glänzenden Bezug, auf die Floortje für die Nacht zu verbannen Jacobina nicht übers Herz gebracht hatte.
Das Öffnen und Schließen der Tür zum Badezimmer schreckte Jacobina auf, und durch das Moskitonetz hindurch sah sie Floortjes Silhouette, wie sie auf bloßen Füßen durch das Halbdunkel zum Bett huschte. Jacobina wartete, bis Floortje unter dem Netz hindurch ins Bett geschlüpft war; dann streckte sie den Arm aus, um das Licht auf dem Nachttisch zu löschen.
»Du kannst ruhig noch lesen«, kam es hastig von Floortje. »Mich stört das nicht!«
»Nein, ich wollte ohnehin schlafen.«
»Jacobina …«
Die Dringlichkeit in Floortjes Stimme ließ sie den Kopf wenden.
Floortje hielt das bis zum Hals hinaufgezogene Leintuch krampfhaft fest und sah sie aus großen Augen an. »Falls es dir nicht allzu viel ausmacht … Könnten
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