Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
Sommerkleids hinabfiel, war blond geblieben, wenn es in der Zwischenzeit auch einen Stich ins Rötliche aufwies, den sie von ihrem Vater geerbt hatte. »Mamabina! Tante Floortje! Schaut mal!«
»Ich seh’s, Liebes«, rief Jacobina lachend in den Garten. »Großartig!«
»Bravo!«, stimmte Floortje mit ein und applaudierte.
Ida fing einen Ball nach dem anderen auf und lachte ihnen fröhlich zu. Sie drehte sich um und rannte zu Edward, der seine eigenen Bälle ebenfalls auffing und den Arm um Ida legte; Ida schmiegte sich eng an ihren Ziehvater, der ihr einen Kuss auf die Stirn drückte, bevor sie sich einander gegenüberstellten und unter viel Gelächter und scherzhaften Zurufen versuchten, ihre Bälle im selben Rhythmus durch die Luft kreisen zu lassen.
»Wie geht’s ihr?«, erkundigte sich Floortje leise und wechselte dabei wieder ins Holländische, das sie nur noch mit Jacobina sprach; während Floortje sich an Deutsch und Englisch gewöhnt hatte, waren Englisch und die beiden chinesischen Sprachen Hongkongs für Jacobina Alltag geworden. Außer mit Floortje sprach sie nur mit Ida regelmäßig Holländisch, damit das Mädchen die Sprache ihrer leiblichen Eltern nicht ganz vergaß.
»Gut«, erwiderte Jacobina mit einem Nicken. »Edward hat immer ein Auge auf sie, und wir sind zuversichtlich, dass sie verschont bleibt.«
Endgültige Sicherheit würden sie wohl noch einige Jahre nicht haben, das wusste Jacobina, und dieses Wissen schuf ein besonderes Band zwischen ihr und Ida. Edward schalt sie manchmal liebevoll, dass sie zu nachgiebig sei, obwohl er selbst mit zärtlicher Liebe an Ida hing, aber Jacobina konnte einfach nicht anders; Ida schien ihr zerbrechlicher als ihre leiblichen Kinder. Die Kinder von ihr und Edward, die schon so stark gewesen waren, während sie in ihr heranwuchsen, die ihr die Geburten leicht gemacht hatten, als ob sie voller Ungeduld auf das Leben dort draußen gewesen waren; vielleicht, weil sie noch im Mutterleib gespürt hatten, wie ersehnt sie waren, wie geliebt und wie beschützt sie sein würden, ohne dass der Schatten einer geächteten Krankheit auf ihnen lastete.
Wie ein Schwamm schien Ida alle Zuwendung aufzusaugen, die man ihr angedeihen ließ, ohne dass sie deshalb verzogene Eigenarten entwickelte; stattdessen schien sie die Liebe, die man ihr schenkte, sogleich an die drei jüngeren Kinder weiterzugeben, an denen sie mit inniger, fast ein bisschen mütterlicher Zuneigung hing. Ein besonderes Band war es auch zwischen Ida und Edwards Vater, von dem sie sich die Liebe für alles Mechanische und Technische abgeschaut hatte; Stunden konnten die beiden zusammen in der Werkstatt verbringen, und seit Tsun-Shin, inzwischen über achtzig, nicht mehr gut sah und weniger Feingefühl in den Fingern hatte, bastelte Ida unter seiner Anleitung an den komplizierten Spielzeugen. Jacobina rechnete es ihrem Schwiegervater, der aus einer anderen Kultur, einer anderen Tradition stammte, heute noch hoch an, dass er sie und Ida damals mit offenen Armen empfangen hatte, nachdem Edward nach einer Reise von wenigen Wochen unvermittelt mit einer weißen Ehefrau und einer Ziehtochter zurückgekehrt war. In dieses große Haus mit dem begrünten Innenhof, das von jenem Tag an auch Jacobinas Zuhause gewesen war, so wie auch Edwards Brüder und Schwägerinnen sie herzlich in ihrer Mitte aufgenommen hatten.
Von Tsun-Shin hatte Jacobina Kantonesisch und Mandarin in Wort und Schrift gelernt und Grundkenntnisse in Kalligraphie; er war es auch gewesen, der ihr mit seiner unerschöpflichen Geduld seine Kultur nahebrachte. Und sowohl er als auch Edward hatten sie getröstet und ihr Mut gemacht, wenn sie sich in Hongkong allzu fremd fühlte, in dieser Stadt, die sie mit ihrem Lärm, ihrem Schmutz, ihrem überbordenden Leben manchmal überwältigte.
»Erinnert sich Ida noch an damals?« Unverwandt sah Floortje ihre Freundin an; auch nach so langer Zeit konnte die Erinnerung sie beide jäh überfallen, durch ein Geräusch, einen Geruch, in einem Traum.
Jacobina verzog das Gesicht, das über die Jahre weicher geworden war. »Kaum. Ab und zu hat sie Alpträume, aber die sind nach einem halben Tag wieder vergessen. Manchmal kuschelt sie sich abends zu mir in den Sessel und bittet mich, von ihren Eltern zu erzählen.« Ihre Stimme wurde leiser. »Und von Jeroen, an den sie nur eine sehr schwache Erinnerung hat. Es ist so schade, dass ich nicht mal eine Photographie von ihm habe, die ich ihr zeigen könnte.« Mit
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