Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
neues Zuhause.
Sie stellte die Reisetasche auf den Boden, nahm ihren Hut ab und legte ihn auf den obersten der Koffer. Schritt um Schritt durchwanderte sie das Zimmer, ließ hier und dort ihre Finger über eine polierte Oberfläche gleiten, drückte prüfend die abgespreizten Finger in die Matratze und warf einen Blick in den Schrank. In einem der Fächer lagen zwei sorgsam gefaltete Blusen von derselben Art, wie Frau de Jong sie trug, und darunter ein rot und braun gemusterter Stoff, wohl einer dieser Wickelröcke. Jacobina schloss die Schranktür und ging zum Fenster. Eine Porzellanvase mit einem Bund tropischer Blumen schmückte den Sekretär, und ein Zweig mit fuchsiafarbenen Blüten war auf dem Tablett daneben arrangiert. Verlangend sah Jacobina den Glaskrug an, der bis zum Rand mit einer trüben Flüssigkeit gefüllt war, in der kleingeschmolzene Eisstückchen schwammen. Eingedenk der Verhaltensregeln, die ihr Henriks Apothekerfreund in Bezug auf Essen und Trinken eingeschärft hatte, zögerte Jacobina noch, schluckte aber unwillkürlich trocken; die Zunge klebte ihr am Gaumen. Kurzerhand schenkte sie sich das Glas voll. Frisch schmeckte das Getränk, zu gleichen Teilen süß, sauer und würzig, und sie musste sich beherrschen, nicht alles in einem Zug herunterzustürzen, sondern in kleinen Schlucken zu trinken.
Jacobina trat näher an das Sprossenfenster, das nach innen aufstand. Sie löste den Riegel des Fensterladens, schob einen Flügel ein Stück auf, spähte hinaus und öffnete ihn dann weiter. Schwül schlug ihr die Mittagsluft entgegen, aber es war die Aussicht, die ihr den Atem stocken ließ. Von ihrem Fenster aus sah sie über weite Rasenflächen und in voller Blüte stehende Hortensiensträucher hinweg direkt in die Kronen alter, dicht belaubter Bäume, aus denen die hellen Klänge des Zikadengesangs herüberzitterten. Einzelne Baumstämme waren von Farbtupfern übersät: Orchideen in Violett, Weiß und Kanariengelb, die sich als bunte Girlanden um die graue Baumrinde wanden. Jeden Tag werde ich das von nun an sehen. Jeden Morgen, wenn ich aufstehe. Jacobina fühlte sich wie im Paradies angekommen, während sie einfach nur dastand, in den Garten schaute und langsam ihr Glas leertrank.
Erst das Lachen der Frauen auf der Veranda unter ihr holte sie in die Wirklichkeit zurück und erinnerte sie daran, dass sie zum Arbeiten hier war und nicht zum Vergnügen. Rasch verschloss sie den Fensterladen, und in plötzlicher Eile hastete sie im Zimmer hin und her, um sich zu waschen, neu zu frisieren und umzuziehen.
Aufrecht, in dunkelblauem Rock und weißer Bluse, jeder Zoll das, was sie sich selbst unter einer Hauslehrerin vorstellte, ging sie die Treppe hinunter, an deren Fuß Ratu bereits auf sie wartete.
»Bitte«, sagte sie zu Jacobina und wies mit der flachen Hand auf eine weitere einheimische Frau, an die sich links und rechts die beiden Kinder schmiegten. Mit klopfendem Herzen ging Jacobina auf sie zu und mit einem Anflug von schlechtem Gewissen, weil die Kinder wohl schon länger hier ausharrten, während sie oben herumgetrödelt und die Aussicht genossen hatte.
»Ist Melati«, erklärte Ratu. » Babu von nyo Jeroen und non Ida. Seit Geburt.«
Melati, die Kinderfrau, blickte ausdruckslos, als Jacobina sie zaghaft begrüßte. Sie war noch jung, wenn auch nicht auf ein genaueres Alter zu schätzen, denn sie hatte Spuren von Müdigkeit und Kummer in ihrem flächigen Gesicht und in den dunklen Augen. An der rechten Hand hielt sie den kleinen Jungen im Matrosenanzug, der bei Jacobinas Ankunft so schnell im Haus verschwunden war. Ein schmales Kerlchen mit verblüffend scharf geschnittenen Zügen und großen, dichtbewimperten blauen Augen. Sein braunes Haar war bis dicht auf die Kopfhaut heruntergeschoren, und immer wieder kratzte er sich mit der freien Hand verstohlen an der Hosennaht oder unter der Achsel, wo ihn der Matrosenanzug offensichtlich kniff. Seine Schwester war nur halb zu sehen, furchtsam drückte sie sich so eng an ihre babu , dass sie fast dahinter verschwand. Bis eine gute Handbreit unters Kinn reichte ihr das blonde Haar, in das eine weiße Schleife gebunden war; weiß wie das luftige Kleidchen mit Puffärmeln, das sie trug, und in ihrem runden Gesicht, das gerade erst den Babyspeck verlor, leuchteten die gleichen blauen Augen wie die ihres Bruders. Die leichte Bräune der beiden Kinder ließ darauf schließen, dass sie sich viel im Freien aufhielten.
Jacobina hatte nicht die leiseste
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