Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
leistete stattdessen sechsundsechzig Arbeitsstunden im Jahr zugunsten der niederländischen Regierung. Erst mit der Abschaffung dieses cultursteelsel 1870 konnten niederländische Privatmänner Land pachten, und nicht wenige waren mit den Erträgen schnell reich geworden. So wie dieser eine Niederländer, über den Floortje auf dem Boden der Stube von Tante Cokkie las, und ein Satz in diesem Artikel hatte es ihr dabei besonders angetan: die Klage des Pflanzers, dass die Regierung zwar inzwischen die Einreise alleinstehender niederländischer Frauen genehmigte, aber keine kommen wollten, dabei wünschten er und die anderen Pflanzer der Gegend sich doch, zu heiraten und Familien zu gründen. Der ungeduldige Ruf ihrer Tante hatte Floortje aufgeschreckt; hastig hatte sie die Zeitungsseite zusammengefaltet, in ihrer Schürze versteckt und sich wieder an die Arbeit gemacht. Und während sie die Fenster auf Hochglanz polierte und sich auch in den folgenden Wochen und Monaten in der Buße übte, die Tante Cokkie ihr auferlegt hatte, träumte Floortje sich nach Java, an die Seite eines vermögenden, aber einsamen Pflanzers, und ein kühner Plan reifte in ihr heran, von dem nichts und niemand sie abbringen würde. Dafür war sie zu schlau und zu entschlossen. Vielleicht auch zu verzweifelt, endlich aus Sneek fortzukommen.
»Verzeihen Sie, Mademoiselle.«
Floortje öffnete blinzelnd die Augen. Der Kellner stand neben ihr, ein Tablett mit einem Glas Champagner auf den Fingerspitzen balancierend, und verneigte sich. »Das ist von Monsieur dort drüben.«
Floortje schaute in die Richtung, in die er genickt hatte. Einige Tische weiter saß ein noch recht junger, blonder Mann in einem blassgelben Anzug, der ebenfalls ein Glas Champagner vor sich stehen hatte und Floortje nun damit zuprostete. Hastig sah sie weg.
»Nehmen Sie das bitte wieder mit«, flüsterte Floortje mit flehendem Blick. »Und richten Sie diesem … diesem Herrn «, sie zog eine ihrer Brauen nach oben, »von mir aus, was ihm denn einfällt, mich derart zu beleidigen.«
»Sehr wohl, Mademoiselle«, erwiderte der Kellner mit einer Verbeugung und beeilte sich, den Auftrag auszuführen.
Floortje hörte, wie die beiden Männer sich einen gedämpften Wortwechsel lieferten, der dann abrupt abbrach. Sie pustete sich eine nicht vorhandene Haarsträhne aus dem Gesicht und fächelte sich schneller zu, als sei ihr vor Fassungslosigkeit und Empörung plötzlich sehr heiß geworden.
Wenige Augenblicke später hörte sie, wie sich jemand neben ihr räusperte, und sie sah auf.
»Ich … ich bitte Sie untertänigst um Verzeihung, gnädiges Fräulein«, stotterte der junge Mann im gelben Anzug und verbeugte sich unsicher. »Ich wollte Sie ganz gewiss nicht beleidigen, nichts lag mir ferner! Ich sah Sie nur hier sitzen und fand … naja, ich dachte …« Sein glattrasiertes, rosiges Gesicht wirkte tatsächlich noch sehr jung, wenn sich auch sein Haar bereits lichtete. Das Strohblond biss sich mit der ohnehin geschmacklosen Farbe des Anzugs; offenbar hatte er niemanden, der ein Auge auf seine Garderobe warf, zumindest niemanden mit weiblicher Stilsicherheit. Und obwohl die Weste an Brust und Bauch spannte, sah der Anzug gut geschnitten und teuer aus, genau wie die braunen Schnürschuhe.
»Für mich ist es keineswegs schmeichelhaft, was Sie da dachten«, hauchte Floortje, und ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sie heftig wegblinzelte, während sie an ihm vorbeisah und ihren Fächer schneller bewegte.
»Nicht doch! Nein«, beteuerte er rasch. » Das habe ich gewiss nicht von Ihnen gedacht!« Er zog ein Taschentuch hervor und wischte sich über den Nacken; sein Gesicht hatte inzwischen die Färbung eines überreifen Sterappels von Bauer Wesendonks Obstwiesen angenommen. »Ich fürchte, mir sind draußen im Preanger die Manieren verloren gegangen. Wissen Sie, wenn man jahrelang kaum über seine Plantage hinauskommt …«
Floortje schnaubte, aber der Takt ihres Fächers verlangsamte sich ein wenig.
»Sehen Sie – ich habe mich noch nicht einmal vorgestellt«, rief er erschrocken und verbeugte sich erneut. »Eduard van Tonder.« Mit ungeschickten Fingern nestelte er aus seiner Westentasche eine Karte hervor und hielt sie Floortje hin, die diese geflissentlich ignorierte. Er hatte kräftige Hände, aber ohne sichtbare Schwielen, wie die eines Mannes, der es gewohnt gewesen war, tüchtig zuzupacken, es mittlerweile aber nicht mehr nötig hatte. »Vielleicht … vielleicht
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