Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
vor?«
»Mein Vorschlag wäre: Ich zeige Ihnen das andere Batavia. Die alte Stadt und das chinesische Viertel von Glodok.«
Jacobina mochte Museen und Denkmäler und hätte gegen die gängigen Sehenswürdigkeiten nichts einzuwenden gehabt, zumal sie noch kaum etwas von der Stadt gesehen hatte. Aber ihr lag viel daran, dass Jan Molenaar sie nicht für oberflächlich oder gar langweilig hielt, und tatsächlich verspürte sie eine kitzelnde Neugierde, mehr zu entdecken als das, was ihre Landsleute erbaut hatten.
»Das würde ich sehr gern sehen«, erwiderte sie mit einem Nicken.
»Ich kann Ihnen allerdings nicht versprechen, dass das, was Sie dort zu Gesicht bekommen, dem gerecht wird, was in den Niederlanden als schicklich gilt. Und das, was es manchmal dazu zu sagen gibt, verstößt sicher auch gegen die Regeln dessen, worüber man in Gegenwart einer Dame spricht.«
Unter zusammengezogenen Brauen sah sie ihn an, unsicher, ob er sich über sie persönlich lustig machte oder über die gesellschaftlichen Gepflogenheiten in ihrem Heimatland. Der schalkhafte Funke, den sie in seinen Augen aufglimmen sah, schuf jedoch Klarheit.
»Zuhause wäre es auch nicht schicklich, dass wir beide einfach so eine Ausfahrt machen«, erwiderte sie mit einem leisen Lachen; ihr war heute so leicht zumute, beinahe übermütig. »Aber Sie sind ja immerhin ein vertrauenswürdiger Kirchenmann und damit über jeden Zweifel erhaben.«
Er lachte. »Eine gewagte These, liebe noni Bina. Da würde ich im Ernstfall nicht drauf wetten! – Budiarto!«, rief er nach vorne und setzte sich auf. Der Kutscher drehte sich halb um, nickte verstehend, als Jan Molenaar ihm etwas auf Malaiisch erklärte, und der Wagen bog nach links ab.
Jan Molenaar ließ sich wieder zurückfallen und strich mit abschätziger Miene über die Sitzlehne. »Das ist allerdings auch ein recht unschickliches Gefährt, das sich Vincent und Griet da angeschafft haben.« Er reckte den Hals, stupste Jacobina an der Schulter an und zeigte auf einen Ponywagen, der ihnen entgegenkam. »Sehen Sie den Wagen? Vielleicht ist Ihnen schon auf Ihrer Fahrt vom Hafen zum Koningsplein aufgefallen, dass die meisten in Batavia so aussehen. Ein sado , vom französischen dos-à-dos . Denn wenn man Rücken an Rücken sitzt«, einer seiner Mundwinkel krümmte sich schelmisch aufwärts, »kann sich auch nichts Unschickliches ereignen.«
Jacobina lehnte sich zu ihm herüber, um den vorbeifahrenden Wagen genauer in Augenschein zu nehmen, und bemerkte erst dann, wie nahe sie Jan Molenaar damit gekommen war. Mit pochendem Herzen hob sie das Gesicht zu ihm an. Ernsthaft ruhten seine Augen auf ihr, mit einer Wärme, die beinahe zärtlich zu nennen war. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus und sprang auf Jacobina über. Immer noch lächelnd sah er wieder auf die Straße hinaus und deutete auf einen Baum mit glatter, grauer Borke und staubbedeckten ledrigen Blättern in einem dunklen Grün.
»Das ist ein Banyan«, erklärte er leise. »Das da eine Tamarinde. Und der Baum dort vorne ist ein Waringin.« Wie beiläufig legte er den Arm um ihre Schultern und zog sie näher zu sich heran. »Sehen Sie – da.«
In Jacobinas Magen flatterte es; alles, was sie sah, war das Gesicht von Jan Molenaar im Halbprofil. Der Wunsch, dieses Gesicht zu berühren, war beinahe übermächtig, und sie krampfte die Hände im Schoß ineinander. Als er seine Hand von ihrer Schulter löste und wieder auf die Lehne legte, blieb ihr der Trost, den sein Arm an ihrem Rücken bot.
Jacobina hatte schon fast vergessen, wie weit der Weg vom Koningsplein in der bovenstad , der oberen Stadt, in die benedenstad , die untereStadt, war, aber sie erinnerte sich noch gut an das viele Grün, an die kleinen Villen in den Gärten und an den Molenvliet. Ihr Gewissen zwickte sie, als der Wagen am Hotel Des Indes vorüberfuhr, und unwillkürlich hielt sie nach Floortje Ausschau.
»Was ist?«, fragte Jan Molenaar leise.
»Nichts.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe nur gerade an etwas gedacht.« Eine Art Sehnsucht, durchzogen von einem leisen Unbehagen, erfüllte sie und ließ sie für einige Zeit verstummen.
Der Wagen rollte an Hausfassaden vorüber, rumpelte über eine Brücke und scherte scharf hinter der von hohen Bäumen halb verborgenen Javaschen Bank ein; Jacobina hatte gerade noch einen Blick auf das Glockentürmchen auf dem Rathausdach erhaschen können, bevor Budiarto gleich noch einmal abbog.
Auf ihrer linken Seite zog
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