Das Herz der Hoelle
Agostinas erste polizeiliche Vernehmung:
»Dieser Mord ist seltsam. Ich spreche weder von der Moral noch vom Motiv. Ich spreche von der Methode. Ich persönlich glaube, dass Sie weder die nötigen Kenntnisse noch die technischen Mittel besitzen, um eine solche Opferung durchzuführen.«
»Das ist keine Frage.«
»Wie haben Sie sich die Säuren beschafft?«
»Im Krankenhaus. Das steht alles in den Akten.«
»Die Insekten?«
»Ich habe die Eier und die ausgewachsenen Tiere auf Aas gesammelt. Tierkadaver, die ich auf den Mülldeponien von Paterno und Adrano gefunden habe.«
»Im Brustkorb des Opfers fand man Flechten. Wo hatten Sie die her?«
»Aus den Steilwandgrotten bei Acireale. Die kennt hier jeder.«
Sie log. Diese Pflanze war viel seltener als ein einfacher Pilz. Und da war außerdem noch der afrikanische Skarabäus. Ich beschloss, nicht darüber zu sprechen. Sie würde mir zweifellos eine vorgefertigte Antwort auftischen.
»Die Leiche wies verschiedene Verwesungsstadien auf, woraus folgt, dass unterschiedliche – und komplexe – Konservierungstechniken angewandt wurden. Wie sind Sie vorgegangen?«
»Es war April. Auf der Baustelle war es kalt. Es genügte, bestimmte Körperteile zu erwärmen und die anderen der Außentemperatur auszusetzen.«
Agostina lächelte noch immer.
»Warum haben Sie so komplizierte Techniken angewandt?«
»Nächste Frage.«
»Wollen Sie nicht antworten?«
»Das ist unsere Abmachung. Nächste Frage.«
Ich betrachtete ihre Hände: Sie waren genauso bleich wie das Gesicht. Blaue Äderchen durchzogen die dünne Haut. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass diese Finger im Leichnam Salvatores herumgewühlt oder ihm die Zunge abgeschnitten hatten.
»Warum haben Sie diesen Mord begangen? Was war Ihr Motiv!«
»Weshalb sollte ich Ihnen antworten?«, sagte sie ungezwungen. »Ich habe nie das Geringste darüber gesagt. Weder den Polizisten noch den Richtern. Noch meinen Anwälten.«
Der Wind heulte noch immer. Ich dachte an Luc und beschloss, es mit einem Bluff zu probieren:
»Sie haben keine Wahl. Ich habe den Schlund gefunden.«
Sie lachte laut auf. Ein abgehacktes Lachen, das in einem tiefen Grollen endete.
»Du lügst. Wenn es wahr wäre, wärst du nicht hier und würdest mich hier nicht wie ein drittklassiger Bulle ausquetschen.«
Obwohl sie mich verhöhnte und duzte, spürte ich, dass ich einen empfindlichen Punkt getroffen hatte. Agostina wusste, dass ich mich tastend vorarbeitete, aber der Ausdruck »Schlund« bewies, dass ich einer anderen Spur folgte als die Polizisten in Catania. Der einzigen brauchbaren Spur – auch wenn ich sie noch nicht verstand. Sie flüsterte:
»Ich habe es getan, weil ich mich rächen musste.«
»An wem? An Salvatore?«
Sie nickte mehrmals freudig wie Kinder, denen man etwas zu naschen anbietet.
»Was hat er Ihnen getan?«
»Er hat mich ermordet.«
Salvatore als gewalttätiger Ehemann. Salvatore, der Agostina halb totschlug. Agostina, die sich schwor, sich zu rächen und ihren Mann umzubringen. Ich hatte keine Zeile, keinen Hinweis auf etwas dergleichen gelesen. Und wenn man sich an seinem Ehemann rächte, wählte man eine schnellere Methode.
»Erzählen Sie.«
Agostina fixierte mich mit ihren durchdringenden Augen. Sandkörner wirbelten durch die Luft und klebten an meinem schweißverschmierten Gesicht. Ich sagte noch einmal:
»Erzählen Sie.«
»Er hat mich ermordet, als ich elf war.«
»Als Sie die Felswand hinabgestürzt sind?«
»Er hat mich gestoßen.«
Salvatore in der Haut eines mordlüsternen Kindes. Ein Kind, das ein anderes Kind kaltblütig in einen Abgrund stürzt. Unmöglich. Agostina fügte hinzu:
»Salvatore war brutal … leicht erregbar … unberechenbar. Wir haben am Rand des Abgrunds herumgetobt. Plötzlich hat er mich gestoßen. Nur um zu sehen, was passiert.«
»Sie haben nach dem Unfall nie darüber gesprochen.«
»Ich habe mich nicht daran erinnert.«
»Und Sie haben Salvatore trotzdem geheiratet?«
»Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich mich nicht daran erinnerte.«
»Wer hat Ihnen die Erinnerung zurückgegeben?«
»Das fragst du mich, ragazzo? «
Wieder sah ich die Fratze des Dämons. Ein gefallener, böser, heimtückischer
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