Das Herz der Hoelle
dem Foto?«
»Er hatte mir gesagt, dass du kommen würdest.«
Ich spürte, wie mir die Angst die Kehle abschnürte. Agostina sprach natürlich vom Teufel – einer realen Präsenz in ihrem Innern. Einer Präsenz, die ich hier zwischen uns spürte. Sie lächelte wieder, verzog einen Mundwinkel nach oben und einen nach unten. Ihr Gesicht wirkte zerrissen. Eine Minute blieb mir noch.
»Weißt du, wie ich mir die Insekten beschafft habe?« Sie gluckste hämisch. »Es ist ganz einfach. Ich muss mich nur selbst befriedigen … Ich werde feucht, und mein Geschlecht öffnet sich wie Aas. Dann kommen die Fliegen … Riechst du es nicht, ragazzo? Ich rufe sie mit meinem Geschlecht … Sie werden kommen …«
Sie senkte den Kopf und verfiel in einen Sprechgesang. Sie stieß die Wörter sehr schnell hervor und wiegte sich dabei vor und zurück. Plötzlich verdrehte sie die Augen, sodass nur noch das Weiße sichtbar war. Ich neigte mich vor und lauschte.
Agostina sprach Latein.
Ich identifizierte nacheinander die Wörter, die sie in einem fort wiederholte: »… lex est quod facimus lex est quod facimus lex est quod facimus lex est quod facimus lex est quod facimus …« Gesetz ist, was wir tun.
Was sollten diese Worte?
Was bedeuteten sie in ihrem Mund?
Sie grunzte jetzt wie ein Schwein. Auf ihr Röcheln folgte ein schreckliches Kreischen. Plötzlich wurden ihre Pupillen wieder sichtbar. Gelblich. Sie spuckte mir ins Gesicht und schrie:
»Du wirst in der Hölle deine Scheiße fressen!«
Hinter meinem Rücken drehte sich ein Schlüssel im Schloss.
Die zehn Minuten waren vorüber.
KAPITEL 62
In der unmittelbaren Umgebung von Catania waren die Aschenwolken noch dunkler. Die Schilder » Sabbia vulcanica « (»Vulkanasche«) waren nicht mehr zu sehen. Meine Scheibenwischer quietschten, gebremst vom Sand. Ich fuhr im Schritttempo und streckte die Hand hinaus, um die Windschutzscheibe zu säubern.
Auch der Vulkan hatte sein Aussehen verändert. Zwei riesige Rauchwolken schwebten über seinen Flanken. Die eine war pigmentiert und gräulich – Aschenregen, Magma, das unter unvorstellbarem Druck pulverisiert wurde –, die andere diesig und wallend, ausschließlich aus Wasserdampf bestehend. Man hörte ihr ungeheures Heulen, das die Detonationen überlagerte. Im Himmel Hubschrauber, die als Maßstäbe für diese mehrere Kilometer hohen Rauchwolken dienten.
Die Hänge zwischen den beiden klaffenden Öffnungen waren von einem Netz rötlicher Adern überzogen, die in glühenden Fontänen explodierten. Der Berg veränderte sich in seinem geologischen Gefüge. Eruptionskegel tauchten auf, Erdschichten wurden aufgeworfen. Ich konnte Erscheinungen beobachten, die aus grauer Vorzeit zu stammen schienen. Die Oberfläche des Planeten wurde rissig und weich und dehnte sich aus, um seine lebendige Natur, sein schmelzflüssiges Inneres zu offenbaren. Der Berg wandelte sich und ich mich ebenfalls.
Um Catania herum wurden die Straßensperren immer dichter. Die Mundschutz tragenden Beamten der Guardia di Finanza überprüften Ausweise und Passierscheine. Wenn der Verkehr zum Stillstand kam, lasen die Autofahrer ruhig in ihren Zeitungen. Es war das Ende der Welt, und niemand scherte sich darum.
15 Uhr, Via Etnea
Ich wollte jetzt den Erzbischof von Catania, Monsignore Paolo Corsi, persönlich sprechen. Ich wollte klar und deutlich die Meinung der Kirche über den Fall Agostina Gedda und den Skandal, den er darstellte, hören.
Die Stadt lag im Dunkeln, und im erzbischöflichen Palais hatte man sich offenbar geschworen, keinen Strom zu benutzen. Es war die gleiche Atmosphäre hektischer Geschäftigkeit wie in der Questura oder in der Redaktion der Ora , nur etwas finsterer. Priester eilten durch die Gänge, wobei sie sich Messgewänder überstreiften oder Kreuz und Räuchergefäß trugen.
Ich hielt einen von ihnen an und fragte ihn nach dem Büro von Monsignore Corsi. Er riss die Augen sperrangelweit auf, ohne zu antworten. Ich ließ ihn stehen und ging die Treppe hinauf, wobei ich im allgemeinen Getümmel die Ellbogen gebrauchte. Im obersten Stock schließlich fand ich das Dienstzimmer des Erzbischofs. Der Form halber klopfte ich an und trat dann ein.
Im Halbdunkel saß ein alter Mann in schwarzer Robe hinter einem Schreibtisch und schrieb. Ein großes Fenster hinter ihm warf ein schwaches Licht auf seinen kahlen Schädel. Er hob
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