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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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-stühle, die ebenfalls mit verblassten Farben bemalt waren. Dachfenster, durch die das Mittagslicht fiel. Das Dekor beschränkte sich auf ein Kruzifix an der Wand mir gegenüber, eine Wanduhr und ein Schild »Rauchen verboten!«. In dem Raum befand sich sonst niemand.
       Die Wärterin verriegelte hinter mir die Tür. Ich blieb allein und vertrat mir etwas die Füße, um die Wartezeit zu verkürzen. Ich spürte unter meinen Füßen eine Art angenehme Weichheit.
       Der Boden war von Sand bedeckt. Ich bemerkte, dass sich in den Fensterwinkeln und den Zimmerecken feine Schichten angehäuft hatten. Der Staub gelangte durch die Ritzen einer anderen geschlossenen Tür, die direkt auf die Wüste gehen musste, ins Innere des Zimmers.
       Schließgeräusche. Schritte. Unwillkürlich ballte ich die Fäuste. Ich durfte meine Beherrschung nicht verlieren. Ich zählte bis fünf, ehe ich mich umdrehte.
       Die Wärterin schloss die Türen schon wieder ab. Agostina trug einen himmelblauen Kittel und setzte sich artig und aufrecht hin. Ich weiß nicht, was ich eigentlich erwartet hatte, aber gewiss nicht diese Aura, diese Strahlkraft.
       Agostina strahlte wie eine Heilige.
       Ich ging näher heran und spürte eine angenehme Wärme. Als sei Agostina einer mysteriösen Kraftquelle ausgesetzt, deren Nachwirkungen noch spürbar waren. Der Nachhall des Wunders, das sie gerettet hatte? Ich kämpfte gegen diese Eindrücke an. Ich war gekommen, um die Mörderin von Salvatore Gedda zu befragen, keine von Gott auserwählte Frau.
       Ich schob einen Stuhl zurück und setzte mich. Eine Erinnerung schoss mir durch den Kopf. Die Aussagen von Skeptikern, damals, als Bernadette Soubirous ihre Erscheinungen gehabt hatte. Die Justizbeamten, die Polizisten, die den Offenbarungen keinen Glauben schenken wollten, hatten sich anders besonnen, als sie der jungen Frau begegnet waren: »Ihr Gesicht ist wie das äußere Zeichen ihrer Begegnung mit Gott, ein Spiegel …«
       Wir saßen einander gegenüber. Agostina Gedda lächelte. Sie wirkte jünger als auf den Fotos – nicht älter als fünfundzwanzig Jahre. Ihre Zierlichkeit verriet ein zartes, empfindsames Gemüt. Ihre Gesichtszüge dagegen waren klar konturiert. Funkelnde schwarze Augen im Schatten hoher Augenbrauen. Eine schelmische Stupsnase. Ein markanter roter Mund, eine kleine Frucht in einem mit Puderzucker bestäubten Eisbecher. Ihr bleicher Teint wurde durch das kurz geschnittene schwarze Haar noch betont.
       Ich machte den Mund auf, aber Agostina kam mir zuvor:
       »Wie heißen Sie?«
       Ihre Stimme war zart und sanft, aber unangenehm. Ich antwortete auf Italienisch:
       »Mein Name ist Mathieu Durey. Ich arbeite bei der Mordkommission in Paris.«
       »Das ist mal eine Abwechslung«, sagte sie mit leicht amüsierter Miene. »Sonst besuchen mich immer nur Priester.«
       Ich legte ihr das Foto von Luc vor. Ich wollte zunächst sicher sein.
       »Ich bin nicht der erste französische Polizist. Dieser da hat Sie ebenfalls besucht, oder?«
       »Bei ihm war es anders. Er interessierte sich nicht für mich.«
       »Für wen denn sonst?«
       Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
       »Das wissen Sie genau.«
       Bilder tauchten vor meinen Augen auf. Pazuzu und sein Fledermausgesicht. Ein Engel mit Faunskopf und großen gebrochenen Flügeln. Der Mann im Gehrock und Chapeau Claque mit den blutunterlaufenen Augen. Das Geheul von Hunden und das Summen von Bienen auf einem Tonband. Ich räusperte mich und fuhr fort:
       »Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«
       »Das kommt darauf an, worüber.«
       »Über das Verbrechen im April 2000.«
       »Ich habe den Polizisten und Anwälten schon alles gesagt.«
       »Ich stelle Ihnen Fragen, und Sie antworten nur, wenn Sie wollen. Einverstanden?«
       Ein leichtes Nicken. Der Wind heulte um uns herum. Ein langes, düsteres Wehklagen wie von einem Tier. Ich stellte mir vor, wie unter der Tür Staub in den Raum eindrang, um uns lebendig zu begraben.
       »Ihr Ehemann wurde unter eigenartigen Umständen getötet. Haben Sie ihn umgebracht?«
       »Lassen Sie doch die unstrittigen Tatsachen beiseite. Dann gewinnen wir Zeit.«
       »Was hat Sie dazu veranlasst, dieses Verbrechen zu gestehen?«
       »Ich hatte nichts zu verbergen.«
       Agostina schien sich wohlzufühlen und ungezwungen zu antworten. Ich entschied mich für eine strengere Gangart, als sei dies

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