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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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mich um, eine bestimmte Stelle fesselte meine Aufmerksamkeit. Ich traute meinen Augen nicht. Auf einem Felsvorsprung zeichneten sich drei schwarze Gestalten ab. Mitten in der Wüste beobachteten mich diese Männer. Wachposten? Ich beschirmte meine Augen mit der rechten Hand und kniff sie zusammen. Meine Überraschung nahm etwas ab, als ich erkannte, dass es Priester waren. Drei römische Kragen, drei Soutanen flatterten im Wind, darüber bleiche, alterslose Köpfe, wie Inbegriffe des Todes. Wer waren diese Gespenster?
       Quietschend drehte sich das Stahltor des Gefängnisses in den Angeln. Ich wandte mich um und sah, wie sich der dreieckige Schatten in meine Richtung öffnete. Ich warf einen letzten Blick auf die Geistlichen: Sie waren verschwunden. Hatte ich geträumt? Ich lief zum Tor, da ich fürchtete, dass es geschlossen wurde, ehe ich hineingelangte.
       Alle Gefängnisse sehen sich ähnlich. Eine Umfassungsmauer, die nur von Schießscharten oder kleinen Fenstern durchbrochen ist; Stacheldraht oder messerscharfe Klingen oben auf den Mauern. Die Justizvollzugsanstalt Malaspina war keine Ausnahme von dieser Regel, obendrein war sie noch völlig abgeschieden. Fliehen bedeutet immer, irgendwohin gehen. Hier aber war man buchstäblich im »Nirgendwo«.
       Ich gab in der Empfangsstelle meinen Namen an und passierte mehrere Kontrollen. Dann ging ich durch farblose Gänge und kam an mehreren Büros vorbei. Die einzige echte Note waren die Farben der Stäbe, Gitter und Türen. Gelb, Rot, Blau, immer verblasst, immer abblätternd – Farben, die die Atmosphäre an diesem Ort aufheitern sollten, die jedoch die Langeweile und den Verschleiß, die darunter hervorstachen, nur notdürftig übertünchten.
       Man ließ mich in einem Raum neben einem Hof warten, der durch ein Doppelgitter geschützt wurde. Durch die Stäbe hindurch sah ich weibliche Gefangene, die Arm in Arm zweifellos zur Kantine gingen – es war kurz vor zwölf. Sie trugen Jogginganzüge und wirkten so entspannt wie an einem Sonntag bei sich zu Hause – ein Sonntag, der oftmals Jahre dauerte. Mit geneigtem Kopf tauschten sie tagein, tagaus immer die gleichen Gedanken, die gleichen Vertraulichkeiten aus. Selbst der Ausblick auf den Himmel war für sie mit Gitterstäben versperrt.
       Schritte. Eine Frau in einer olivgrünen Uniform, die am Gürtel einen großen Schlüsselbund trug, kam auf mich zu. Noch im Gehen warf sie mir zu:
       »Sie haben sich verspätet.«
       Anschließend stellte sie sich vor, aber ich verstand weder ihren Namen noch ihren Dienstgrad. Nur ihre Sinnlichkeit verblüffte mich. Eine Brünette mit dunklem Teint, fleischigen Lippen, dichten Brauen, die echte Magnetwellen aussandte. Vielleicht lag es an ihren Formen, die in ihre Uniform gezwängt waren, oder an ihrem Gesicht; eine raue Schönheit und goldbraune Augen, aber mir wurde ganz schwindlig.
       Diese Brauen, diese derben Gesichtszüge waren wie Versprechen – Vorzeichen einer großen, dicht behaarten Scham. Ich stellte mir vor, dass ihr Körper tabakblond war, und darauf die schwarzen Warzenhöfe ihrer Brüste und das dunkle Dreieck ihres Geschlechts. Wahrhaft peinigend.
       »Bitte verzeihen Sie.«
       »Ich bin die Direktorin. Ich empfange Sie, weil ich Michele Geppu kenne und ihm vertraue.«
       »Ist Agostina Gedda damit einverstanden, mich zu treffen?«
       »Sie ist immer einverstanden. Sie stellt sich gern selbst dar.«
       »Wie viel Zeit geben Sie mir?«
       »Zehn Minuten.«
       »Das ist nicht viel.«
       »Das genügt vollkommen, um sich einen Eindruck von ihrer Persönlichkeit zu verschaffen.«
       »Wie ist sie?«
       Die Direktorin lächelte. Ich spürte ein schmerzhaftes Stechen im Unterleib. Ein ungewöhnlich starkes Verlangen. Jenseits dieser Empfindung tauchte ein Gedanke auf: die trockene Ebene, die drei Priester, diese erregende Frau … Eine »Versuchung in der Wüste« in drei Akten, nur für mich aufgeführt.
       Die Direktorin antwortete – sie hatte, wie viele Italienerinnen, eine raue Stimme.
       »Ich möchte Ihnen nur einen Rat geben.«
       »Was für einen?«
       »Geben Sie nichts auf ihre Antworten. Man darf ihr kein Gehör schenken.«
       Ihr Rat war absurd: Ich war hier, um Agostina zu vernehmen. Sie fügte hinzu:
       »Er ist ein Lügner. Der Dämon ist ein Lügner.«

KAPITEL 61
    Das Besuchszimmer. Ein großer Raum mit nackten Wänden, darin kleine Schultische und

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