Das Herz der Hoelle
die Arbeit, nachdem ich mir an der Rezeption Briefpapier und Umschläge besorgt hatte. Ich schrieb auf Italienisch. Ich erwähnte zunächst den Fall Agostina und schilderte dann ausführlich den Fall Simonis, wobei ich die Gemeinsamkeiten zwischen den Morden betonte. Dann gab ich vor, ein von Interpol beauftragter Polizist zu sein, der Zusammenhänge zwischen diesen außergewöhnlichen Bluttaten aufdecken sollte.
Zum Schluss bedankte ich mich bei ihm im Voraus dafür, dass er mir unverzüglich eine Audienz gewährte, und gab meine Handynummer und die Adresse der Pension an. Ich las meinen Text noch einmal durch in der Hoffnung, die Dringlichkeit meines Ersuchens deutlich gemacht zu haben.
Unter der Dusche, einer Kunststoffkabine, die einer Desinfektionsschleuse ähnelte, versuchte ich mich zu entspannen. Anschließend blies ich meine Kleidungsstücke mit einem Haartrockner ab, um den feinen Aschestaub zu entfernen. Kaum hatte ich mein Großreinemachen beendet, als auch schon das Telefon läutete. Ich würde im Foyer erwartet.
Der Diakon ging im Vestibül auf und ab. Seine Soutane passte hervorragend zu den abgewetzten Teppichen und den großen Schlüsselanhängern aus Messing an der Rezeption. Die Szene hätte genauso gut im 19. oder auch 18. Jahrhundert spielen können. Der Mann steckte den Brief in seine Robe und verabschiedete sich.
21 Uhr: Ich hatte noch immer keinen Hunger. Ich spürte weder meinen Magen noch meinen Körper. Meine Müdigkeit war so groß, dass sie sich in eine Art Trunkenheit verwandelte, die jede andere Empfindung auslöschte. Als ich in mein Zimmer zurückging, überprüfte ich mein Handy. Eine SMS von Foucault: »Ruf mich sofort an!« Seine Nummer im Speicher. Mein Stellvertreter ließ mich nicht zu Wort kommen.
»Ich hab noch einen.«
»Was?«
»Einen Mord, bei dem Säuren, Insekten und der ganze Dreck verwendet wurden.«
Ich ließ mich aufs Bett fallen.
»Wo?«
»In Tallinn in Estland. Im Jahr 1999.«
»Bist du dir bei den Gemeinsamkeiten sicher?«
»Absolut.«
»Wie bist du darauf gekommen?«
»Svendsen. Er hatte alle Gerichtsmediziner angerufen, die er in Europa kennt. Es gibt einen in Tallinn, der sich an eine ähnliche Geschichte erinnert hat. Ich hab es dann selbst überprüft. Die Polizeibehörden haben im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit ihre heißesten Fälle an die Zentralstelle in Brüssel gemeldet, um die Datenbank gegen Gewaltverbrechen aufzubauen. Tatsächlich gibt es einen Fall in Estland, bei dem die Leiche in genau der gleichen Weise zugerichtet war. Die Signatur ist identisch.«
»Erzähl mir mehr über die Einzelheiten, die Tatsachen, den Rahmen.«
»Der Täter wurde identifiziert: ein Kerl namens Raimo Rihiimäki. Gothic-Musiker, 23 Jahre. Das Opfer ist sein Vater. Das ist im Mai 99 passiert. Die Ermittlungen waren unproblematisch. Man fand Raimos Fingerabdrücke auf der Leiche und in der Fischerhütte, wo der Alte gefoltert worden war.«
»Hat dieser Raimo gestanden?«
»Kam nicht dazu. Nachdem er seinen Vater getötet hatte, unternahm er eine Art Amok-Fahrt durchs Land. Die Polizei hat ihn im November erwischt. Raimo war bewaffnet. Er wurde während des Einsatzes erschossen.«
Drei ähnliche Morde in Europa. 1999, Estland. 2000, Italien. 2002, Frankreich. Der Albtraum erstreckte sich über die Europäische Union. Und das war nur der Anfang, das wusste ich. Ich fuhr fort:
»Hast du mit der estnischen Polizei gesprochen?«
»Ja und nein.«
»Wie das?«
»Also … wir haben uns auf Englisch unterhalten. Aber mein Englisch …«
»Schicken sie dir die Akte?«
»Ich warte drauf. Sie haben eine englische Fassung.«
Aus einem Bauchgefühl heraus fragte ich:
»Dein Este hatte vor dem Mord nicht zufällig einen Unfall oder eine schwere Erkrankung?«
»Woher weißt du das?«
»Schieß los.«
»Zwei Monate vor der Tat hat sich Raimo Rihiimäki mit seinem Vater geprügelt. Beide waren Säufer. Das geschah auf dem Kutter des Vaters – er war Fischer. Raimo ist bei Regen ausgerutscht und über Bord gegangen. Als man ihn aus dem Wasser zog, war er ertrunken, oder vielmehr stark unterkühlt. Im Zentralkrankenhaus von Tallinn gelang es, ihn wiederzubeleben. Weil das eiskalte Wasser irgendwas im Körper bewirkt, ich hab’s nicht richtig verstanden …«
»Und
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