Das Herz der Hoelle
Sekten ist der Teufel nur ein Vorwand, um sich Ausschweifungen, dem Konsum von Drogen und diversen mehr oder minder unsittlichen Umtrieben hinzugeben. Manchmal gehen diese Praktiken weiter und tauchen unter der Rubrik ›Vermischtes‹ in den Zeitungen auf. Morde, Opferungen, Verleitung zum Selbstmord … Aber ich würde sagen, dass diese Gruppen im Grunde nicht gefährlich sind und sich meistens damit begnügen, Friedhöfe zu schänden. Eine einfache Variante der Kriminalität. Es geht dabei nicht um metaphysische oder andere höhere Werte. Und wenn diese verkommenen Individuen versuchen, mit ihrem ›Meister‹ in Kontakt zu treten, dann geschieht dies im Rahmen eher lächerlicher Zeremonien.«
»Ich vermute, dass die Teufelssklaven nicht in diese Kategorie fallen.«
»Ganz genau. Die Teufelssklaven sind echte Satanisten, die für und durch das Böse leben. Sie führen ein asketisches, kompromissloses, strenges Leben. Mörder, Peiniger, Vergewaltiger: Sie praktizieren das Böse mit kaltem Blut, wohldurchdacht und methodisch. Sie sind das Pendant zu unseren Mönchen. Mächtig, zahlreich – und unsichtbar. Sie würden niemals unter einem Altar Unzucht treiben oder mit einem Tier verkehren. Es sind echte Verbrecher, die durch das Böse und durch die Zerstörung auf das Transzendente abzielen. Ihre Kommunion ist Mord, Leiden und Lasterhaftigkeit. Außerdem halten sie zusammen wie Pech und Schwefel. Ein geheimes Projekt eint sie.«
Ich zündete eine neue Zigarette an, gewissermaßen um unsere kleine intime Hölle zu nähren.
»Wer ist …«
»Sie sammeln die Befehle Satans. Wenn sie nicht töten, sind die Teufelssklaven auf der Suche nach dem Wort Satans.«
Zamorski atmete tief durch. Er ging noch immer auf und ab. Mehr denn je erinnerte sein martialisches Auftreten an einen General auf einem Feldzug. Er fuhr fort:
»Sie müssen wissen, das satanische Dogma weist einen grundlegenden Mangel auf: Es gibt kein heiliges Buch. Nicht die Spur eines Textes. In der Geschichte des Satanismus finden sich eine Menge schwarze Bibeln, Werke der Dämonologie, Zauberbücher und Erfahrungsberichte. Aber kein Werk behauptet, das Wort Satans zu enthalten. Im Gegensatz zu dem, was man sich erzählt, ist der Teufel nicht geschwätzig.«
Mir schoss das Bild des Priesters in Lourdes in seiner verschlissenen Soutane durch den Kopf, der gesagt hatte: » Sie haben kein Buch, verstehen Sie? « Der Fanatiker sprach von den Teufelssklaven. Ich fragte:
»Wo findet sich das Wort des Teufels? Wo steht es geschrieben?«
Seine Augen funkelten kurz gewitzt.
»Sie fragen mich das?« Er öffnete die Hände. »Genau darum geht es doch bei Ihren Ermittlungen!«
Ich hätte von selbst darauf kommen können. Die Lichtlosen. Die einzigen Lebewesen auf der Erde, die während ihres Komas dem Teufel begegneten.
»Die Teufelssklaven versuchen die Lichtlosen aufzuspüren?«
»Das ist der Sinn und Zweck ihrer Suche. Für sie sind diese durch ein Wunder geheilten Personen Träger eines einzigartigen Wortes, eines Wortes, das sie in ihrem Buch verzeichnen müssen. Aus diesem Grund werden sie auch die ›Schriftgelehrten‹ genannt. Sie schreiben unter dem Diktat des Teufels.«
»Ich nehme an, dass es ihnen vordringlich darum geht, den Hölleneid zu entziffern.«
Zamorski nickte:
»Genau das ist ihr eigentliches Ziel: den Eid zu entschlüsseln. Die Wörter, die es ihnen erlauben, mit dem Fürsten der Hölle in Verbindung zu treten und mit ihm zu paktieren.«
»Gehörten Cazeviel und Moraz dieser Sekte an?«
»Seit Langem.«
»Schon bevor Manon ertrank?«
»Ja. Sie haben das kleine Mädchen verdorben. Sie haben es manipuliert, ihm jene satanistischen Akte eingegeben, die es damals beging. Wir wissen nicht, was sie eigentlich vorhatten. Aber zweifellos wollten sie eine verdorbene, böse Kreatur erschaffen, die die Aufmerksamkeit von Satan persönlich auf sich gezogen hätte.«
»Wann haben sie erfahren, dass Manon lebt?«
»Als Sylvie Simonis ermordet wurde.«
»Von wem haben sie es erfahren?«
»Von Stéphane Sarrazin.«
Der Name des Gendarmen traf mich wie ein Schlag ins Gesicht:
»Wieso er? Wieso hätte er sie davon unterrichten sollen?«
Der Nuntius unterdrückte ein Lächeln:
»Weil er ihr Komplize war. Als Stéphane Sarrazin noch Thomas Longhini hieß, war er
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