Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
Abgang Verbindung zu dieser Stiftung aufgenommen? Wieder der Verdacht einer tödlichen Erkrankung … Aber Laure schien ihrer Sache sicher zu sein, und die Ärzte im Hôtel-Dieu hätten einen Tumor oder eine Infektion sofort erkannt. Hatte diese Website etwas mit einem Ermittlungsverfahren zu tun?
       Ich klickte mich durch die verschiedenen Menüseiten. Unital6 bot weitere Aktivitäten an: Seminare, Exerzitien in italienischen Klöstern. Ich las die Liste der Vorträge durch. Das einzige Thema, das Luc womöglich angesprochen hätte, war ein Kolloqium über die »Rückkehr des Teufels«, das am 5. November in Padua stattfinden sollte. Ich nahm mir vor, die Spezialisten von der Abteilung für Computerkriminalität anzurufen. Sie könnten vielleicht die Texte der E-Mails wiederherstellen.
       Ich wandte mich von dem Computer ab und konzentrierte mich nun auf den Schreibtisch. In den Schubladen entdeckte ich nur bürokratischen Kram: Kontoauszüge, Stromrechnungen, Versicherungsquittungen, Unterlagen der staatlichen Sozialversicherung … Ich hätte mich in diese Dokumente vertiefen können, aber ich war nicht in der Stimmung, Zahlen unter die Lupe zu nehmen. In der letzten Schublade ein Terminkalender mit Namen, hingekritzelte Zahlen, Initialen. Einige kannte ich, andere nicht, wieder andere waren unleserlich. Ich steckte den Kalender in meine Sakkotasche, und als ich weitersuchte, stieß ich auf einen Bund mit kleinen Schlüsseln. Ich blickte auf: der Büroschrank und der kleine Einbauschrank mit der Lamellentür …
       Sie ließ sich sofort öffnen. Aktenordner aus grauem Leinen, mit einem Riemen zugebunden, standen auf einem Regal dicht nebeneinander, trugen auf dem Rücken den Buchstaben D und die Jahresangaben: 1990-1999, 1980-1989. 1970-1979 … Es reichte bis zum Anfang des Jahrhunderts zurück. Ich nahm den Ordner ganz rechts heraus, der die Aufschrift »2000 …« trug, stellte ihn auf den Boden und öffnete das Leinenbändchen.
       Zwei weitere Aktenmappen, die beide das Datum eines Jahres trugen: 2000 und 2001. Ich öffnete die Mappe von 2001 und fand Bilder vom Anschlag des 11. September. Die beiden rauchenden Türme des World Trade Center, Körper, die in die Tiefe stürzten, verstört dreinblickende Menschen, die mit Staub bedeckt waren und über eine Brücke liefen. Dann tauchten weitere Fotos auf: Leichen mit ausgestochenen Augen, abgerissene Oberkörper von Kindern unter Schutt. Im Kommentar hieß es: »Grosny, Tschetschenien«. Ich blätterte weiter: Skelettreste, ein Schädel mit einem Frauenschlüpfer zwischen den Zähnen. Man brauchte die Legende gar nicht zu lesen. Das Foto zeigte die Exhumierung eines der Opfer des Serienmörders Emile Louis aus der Gegend von Auxerre.
       Weshalb bewahrte Luc diese schrecklichen Bilder auf? Ich stellte den Ordner zurück und schlug dann denjenigen der 1990er Jahre auf, wobei ich aufs Geratewohl Blätter herauszog. 1993. Männer und Frauen mit durchgeschnittener Kehle in der Gasse eines algerischen Dorfs. Zerstückelte Leichen zwischen Blutlachen und verkohlten Blechen. »Selbstmordanschlag, Ramat Ash Kol, Jerusalem, August 1995«. Meine Hände begannen zu zittern. Ich ahnte, dass eine Aktenmappe meinem vertrauten Albtraum gewidmet war. Schwarze Körper in rotem Schlamm, aufgeschlitzte Gesichter, Massengräber, so weit das Auge reicht: »Ruanda, 1994«.
       Ich schlug die Akte zu, bevor mir die Bilder ins Gesicht sprangen. Erst nach mehreren Anläufen gelang es mir, sie wieder zu schließen. Eiskalter Schweiß lief mir übers Gesicht. Die Angst kehrte mit Macht zurück, wie an den schlimmsten Tagen. Ich stand auf und zog die Jalousien am Fenster zur Seite, dann suchte ich den in Dunkelheit gehüllten Innenhof mit den Augen ab. Nach einigen Sekunden fühlte ich mich besser. Erleben zu müssen, wie sehr Ruanda noch immer in mir präsent war, wie überempfindlich ich darauf reagierte, enttäuschte, ja demütigte mich geradezu.
       Ich kam auf Luc zurück. Damit also hatte er seine Abende und seine Wochenenden verbracht. Suchen, ausschneiden, ein Verzeichnis der schlimmsten Gräueltaten erstellen, die Menschen begangen hatten. Ich beugte mich erneut über die Regale und fischte eine Akte heraus, die getrennt eingeordnet worden war: »1940-1944«. Ich erwartete einen Katalog von Nazi-Gräueln, aber ich durfte mir zunächst asiatische Bilder zu Gemüte führen. Die Vivisektion einer Frau, durchgeführt von Japanern in OP-Kitteln und Mundschutz.

Weitere Kostenlose Bücher