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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Erwachsenen, der ein Kind ausschimpft:
       »Du tust so, als würdest du mich um Rat fragen, dabei bist du dir deiner Sache völlig sicher. Willst du noch etwas anderes von mir?«
       Ich rutschte nervös auf meinem Stuhl herum:
       »Ich möchte beichten.«
       »Jetzt?«
       »Jetzt.«
       Ich genoss den Duft des Weihrauchs, des Flechtwerks der Korbstühle, das Hallen unserer Worte. Wir waren im Raum des Bekennens und der Erlösung.
       »Komm mit.«
       »Können wir nicht hierbleiben?«
       Stéphane zog überrascht die Augenbrauen hoch. Hinter seiner Gutmütigkeit verbarg sich ein Traditionalist an der Grenze zum Reaktionär. In seinen Theologie-Vorlesungen hatte er immer wieder von der unsichtbaren Ordnung gesprochen, den Bezugspunkten – den Riten –, die unsere Wegmarken sein müssten. Doch heute Abend schloss er die Augen und faltete seine Hände, während er ein Vaterunser betete. Ich stimmte in seine Worte ein.
       Dann beugte er sich zu mir und flüsterte:
       »Ich höre.«
       Ich erzählte von Doudou, von der Szene in Rungis, von den Lügen und üblen Machenschaften, auf die ich bei meinen Ermittlungen bereits gestoßen war. Ich sprach von den afrikanischen Nachtlokalen, von den Versuchungen, denen ich dort ausgesetzt gewesen war. Von Foxy, von den Mächten des Bösen, für die sie stand, und von dem Pakt, den ich mit ihr schließen musste. Von dieser teuflischen Logik, die darin bestand, die Augen vor einem Übel zu verschließen, um ein anderes, noch schlimmeres Übel abzuwenden.
       Ich gestand meine Feigheit gegenüber Luc – dass ich es nicht über mich gebracht hatte, ihn vor meiner Abreise zu besuchen. Und auch meine Verachtung für Laure, für meine Mutter und für alle Polizisten, denen ich an diesem Morgen in der Kapelle begegnet war.
       Stéphane hörte mit geschlossenen Augen zu. Mir wurde klar, dass ich noch immer sündigte. Meine Reue war nicht aufrichtig: Ich genoss diesen Augenblick der Offenheit, der Erleichterung. Statt Zerknirschung und Bußfertigkeit empfand ich ein Gefühl der Lust.
       »Ist das alles?«, fragte er schließlich.
       »Genügt das nicht?«
       »Du machst deine Arbeit, oder?«
       »Das ist keine Entschuldigung.«
       »Es könnte eine Entschuldigung dafür sein, der Trägheit der Sünde und der Gleichgültigkeit zu verfallen. Aber du scheinst weit davon entfernt zu sein.«
       »Du erteilst mir also die Absolution?« Ich schnalzte mit den Fingern. »Einfach so?«
       »Du solltest nicht spotten. Lass uns gemeinsam beten.«
       »Darf ich das Gebet auswählen?«
       »Hier wird nicht à la carte gespeist, mein Lieber.« Er lächelte. »Welches Gebet möchtest du denn?«
       Ich sprach leise:
        
          »Mein Leben ist nur ein Augenblick,
          eine Stunde, die vorübereilt
          Mein Leben ist nur ein einziger Tag,
          der mir entgleitet und sich mir entzieht.«
        
    »Therese von Lisieux?«
       Als Heranwachsende verachteten wir – Luc und ich – die berühmten Mystikerinnen der christlichen Geschichte. Theresa von Avila: eine Hysterikerin. Therese von Lisieux: einfältig. Hildegard von Bingen: eine Schwärmerin … Doch mit zunehmendem Alter hatte ich sie dann entdeckt, und sie hatten mich fasziniert. Etwa Therese von Lisieux durch ihre Frische und ihre unverfälschte Unschuld. Die reinste christliche Einfalt …
       »Nicht sehr orthodox«, murrte Stéphane. »Aber wenn du Wert darauf legst …«
       Er sprach leise:
       »Mein Leben ist nur ein Augenblick, eine Stunde, die vorübereilt …
        
          Mein Leben ist nur ein einziger Tag,
          der mir entgleitet und sich mir entzieht.
          Du weißt es, o mein Gott,
          um dich auf Erden zu lieben,
          habe ich nur den heutigen Tag!«
        
    Dann fiel ich ein:
        
          »O, ich liebe dich, Jesus! Zu dir strebt meine Seele.
          Nur für einen Tag bleib meine sanfte Stütze.
          Komm und bemächtige dich meines Herzens,
          schenk mir dein Lächeln
          Nur für heute!«
        
    Der Gegensatz zwischen dem verlebten Gesicht des Priesters und diesen ergreifenden, erwartungsvollen Worten rührte mich zu Tränen. Bei den letzten Worten senkte ich den Kopf. Der Priester machte ein Kreuz auf meine Stirn.
       »Geh in Frieden, mein Sohn.«
       Plötzlich verstand ich, was ich hier suchte. Eine Art

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