Das Herz der Hoelle
eine fähige Untersuchungsrichterin war, jedenfalls war sie eine miserable Lügnerin. Und leichtfertig, denn sie gab sich nicht einmal die Mühe, glaubwürdig zu wirken. Mein Blick fiel auf ein gesticktes großes Mandala, das hinter ihr an der Wand hing. Die symbolische Darstellung der Welt nach den tibetischen Buddhisten. Auf einem Regalbrett stand außerdem ein kleiner Bronzebuddha. Ich ließ nicht locker:
»Anscheinend waren Teile der Leiche unterschiedlich stark verwest.«
»Ach das … Laut unseres Gerichtsmediziners ist das nichts Außergewöhnliches. Die Verwesung läuft nicht immer gleich ab. Hier ist alles möglich.«
Ich bereute es, den Journalisten gespielt zu haben. Die Untersuchungsrichterin hätte es nie gewagt, einem Kripobeamten einen solchen Stuss aufzutischen. Sie schnäuzte sich ein weiteres Mal und griff dann nach einer kleiner runden Dose. Sie steckte die Finger hinein und massierte sich dann die Schläfen.
»Tigerbalsam«, erklärte sie. »Das ist das Einzige, was mir hilft …«
»Woran ist diese Frau gestorben?«
»Wir wissen es nicht, ich sage es Ihnen noch einmal. Unfall, Selbstmord: Der Leichnam gibt uns keinerlei Hinweise. Sylvie Simonis lebte sehr zurückgezogen. Die Ermittlungen in ihrem persönlichen Umfeld haben ebenfalls nichts erbracht.« Sie stockte und sah mich plötzlich schief an. »Wie war noch gleich der Name der Zeitung, für die Sie arbeiten?«
Ich deutete einen Abschiedsgruß an, ehe ich die Tür zumachte. Im Flur sah ich, wie die Baumwipfel gegen die Fenster schlugen. Ich hatte mit schwierigen Ermittlungen gerechnet. Aber es schien noch schlimmer zu kommen.
KAPITEL 27
Bezirk Trépillot im Westen der Stadt.
Hinter dem städtischen Schwimmbad lag das Hauptquartier der Gendarmerie. Ich gelangte unbehelligt auf den Parkplatz – am Eingang gab es nicht einmal einen Wachtposten. Ich parkte zwischen zwei Peugeots. Ich hätte direkt nach Sartuis fahren sollen, aber ich wollte mir zuerst einen persönlichen Eindruck von den Personen verschaffen, die die Ermittlungen durchgeführt hatten.
Ich entschied mich für das stattlichste Gebäude der Kaserne, fand eine Treppe und ging hinauf. Kein einziger Uniformierter zu sehen. Im ersten Stock wagte ich einen Blick in den Flur und gewahrte ein Schild mit der Aufschrift »Vermisstenanzeigen«. Niemand. Im zweiten Stockwerk wieder ein Schild. Einsatzleitung der Gendarmerie.
Die Tür stand halb offen. Zwei Gendarmen schlummerten vor einer Telefonzentrale, über der eine Karte der Region hing. Ich stellte mich unter meiner falschen Identität vor und verlangte, den Ermittlungsleiter im Fall Simonis zu sprechen. Die beiden Männer wechselten einen Blick, worauf einer der beiden wortlos verschwand.
Fünf Minuten später kam er zurück und führte mich in den dritten Stock in ein kleines, recht spartanisch eingerichtetes Zimmer. Weiße Wände, Holzstühle, ein Resopaltisch.
Kaum dass ich einen kurzen Blick durch das Fenster geworfen hatte, stand auch schon ein hochgewachsener, gertenschlanker Typ in der Tür, einen Plastikbecher in jeder Hand. Der Kaffeeduft verbreitete sich im Zimmer. Er trug weder Käppi noch Uniform. Nur ein himmelblaues Hemd mit offenem Kragen und Tressen an den Schultern.
Wortlos stellte er einen der Becher neben mich, an die Tischkante, und nahm dann am anderen Ende Platz. Dieses Verhalten war ein Befehl: Ich setzte mich ohne Widerworte.
Der Offizier musterte mich. Ich beobachtete ihn meinerseits. Kaum dreißig Jahre und trotzdem, dessen war ich sicher, der Ermittlungsleiter im Fall Simonis. Seine ganze Person strahlte Entschlossenheit aus. Sein kurz geschorenes Haar überzog seinen Schädel wie eine schwarze Kapuze. Seine eng zusammenstehenden dunklen Augen strahlten lebhaft unter dichten Brauen.
»Capitaine Stéphane Sarrazin«, sagte er schließlich. »Corine Magnan hat mich angerufen.«
Er sprach schnell, leiernd und monoton. Ich begann, meine Nummer abzuspulen:
»Ich bin Journalist aus Paris und …«
»Wem wollen Sie das weismachen?«
Ich spürte, wie mein Nacken steif wurde.
»Sie sind von der Kripo, nicht wahr?«
»Ich bin nicht dienstlich hier«, gab ich kleinlaut zu.
»Wir haben das bereits überprüft. Was wissen Sie über Sylvie Simonis?«
Mit jeder Sekunde wurde mein Mund trockener.
»Nichts. Ich habe lediglich zwei Artikel gelesen, im Est
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