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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Langsamkeit. Ich fragte mich, ob ich die Fähigkeit zur Tarnung verloren hatte:
       »Okay«, gab ich zu, »ich bin von der Pariser Mordkommission.«
       »Prächtig! Bist du wegen der Simonis da?«
       Ich nickte.
       »In offiziellem Auftrag?«
       »Halb offiziell.«
       »Dann hast du hier also nichts zu suchen.«
       Er griff mit der Hand tief in den Koffer und zog eine gelbliche Flasche heraus.
       »Möchtest du meinen kleinen ›Dessertwein‹ kosten?«
       »Ich sehe kein Dessert.«
       Er lachte wieder. In der anderen Hand hielt er zwei Gläser, die er wie Kastagnetten klappern ließ:
       »Ich höre«, sagte er, während er die im Gras stehenden Gläser füllte.
       Ich resümierte kurz die Situation: Die Ermittlungen, die Luc anstellte, sein Selbstmordversuch, die Indizien, die mich hierhergeführt hatten. Meine Hypothese, wonach seine Recherchen im Fall Simonis und seine Verzweiflungstat miteinander zusammenhingen. Zum Schluss zeigte ich ihm Lucs Porträt, um das übliche »Nie gesehen« zu hören. Insekten schwirrten im blendenden Sonnenlicht. Es versprach ein herrlicher Tag zu werden.
       »Über den Tod Sylvies«, meinte er nach einem kräftigen Schluck, »kann ich dir nicht viel sagen. Ich habe nicht über diesen Fall berichtet.«
       »Wieso?«
       »Vorzeitiger Ruhestand. Beim Courrier waren sie der Auffassung, ich gehörte aufs Altenteil. Der Todesfall Sylvie Simonis kam da wie gerufen. Die Gelegenheit, um Chopard abzuservieren.«
       »Wieso ausgerechnet dieser Fall?«
       »Sie haben sich daran erinnert, wie ich mich in den ersten Mordfall hineingekniet hab. Da haben sie lieber einen Jungen losgeschickt, einen Anfänger, der keine Wellen schlagen würde.«
       »Sie wollten möglichst wenig Aufsehen?«
       »Genau. Man darf das Image der Region nicht beschmutzen. Das ist Politik. Da habe ich lieber meinen Hut genommen.«
       Ich führte das Glas an die Lippen – ein goldgelber Jura-Wein. Vorzüglich, aber mir war nicht nach einer Weinprobe.
       »Haben Sie auf eigene Faust Nachforschungen angestellt?«
       »Ziemlich schwierig. Die Gendarmen haben geschwiegen wie ein Grab.«
       »Auch Ihnen gegenüber?«
       »Vor allem mir gegenüber. Die alten Dienstgrade, meine Kumpel, sind in Pension. Ein ganz neues Team ist nach Besançon gekommen. Verdammte Dummköpfe.«
       »Wie Stéphane Sarrazin?«
       »Der größte Dummkopf.«
       »Und die Familie von Sylvie? Haben Sie ihre Angehörigen nicht befragt?«
       »Sylvie hatte keine Familie.«
       »Irgendwer hat mit gesagt, sie wäre verheiratet gewesen.«
       »Sylvie war seit Jahren verwitwet. Sie war es schon, als Manon ermordet wurde.«
       »Wie ist ihr Mann zu Tode gekommen?«
       Chopard antwortete nicht sofort. Er hatte sein Glas hingestellt, das bereits leer war, und verstaute die Köder, die Angelhaken und die Schnüre sorgfältig in den kleinen Schubladen seines Anglerkoffers. Unter seinem Mützenschirm warf er mir einen verstohlenen Blick zu.
       »Willst du die ganze Geschichte hören?«
       »Deshalb bin ich hier.«
       »Frédéric Simonis ist 1987 mit seinem Wagen tödlich verunglückt.«
       »Ein Unfall?«
       »Ein Unfall, bei dem Schnaps im Spiel war. Er war ein echter Saufbruder.«
       Porträt der Familie: der Ehemann, ein Alkoholiker, tödlich verunglückt, eine Tochter, die in einem Brunnen ersäuft wurde. Und jetzt die Überlebende, eine Uhrmacherin, grausam ermordet. Nichts passte zusammen, einmal abgesehen von der Allgegenwart des Todes. Chopard schien mein Unbehagen zu spüren.
       »Frédéric und Sylvie haben sich auf der Ingenieurschule in Biel im Kanton Bern kennengelernt. Die bekannteste Ausbildungsstätte für Uhrmacher in der Schweiz. Sie waren totale Gegensätze. Er ein verwöhnter Spross reicher Eltern. Aus einer bedeutenden Textilfabrikantenfamilie in Besançon. Sie Tochter eines Witwers, Uhrmacher in Nancy, der starb, als sie dreizehn war. Er war ein Taugenichts, der von seinen Eltern ausgehalten wurde. Sie Stipendiatin, hoch motiviert, ein Genie der Uhrmacherkunst. Sie hatte eine ›goldene Hand‹, wie man hier sagt. Kein Räderwerk, kein Mechanismus, den sie nicht durchschaut hätte.«
       »Kamen die beiden denn gut miteinander klar?«
       Der Angler schlug seinen kleinen Koffer zu:
       »Erstaunlicherweise ja. Jedenfalls am Anfang. Sie haben 1980 geheiratet. Dann kam Manon, und die

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