Das Herz der Kriegerin
vorwerfen, nichts anlasten.
»Zu welchem Vogel gehört diese Feder?«, fragte Jeanne eines Tages, als ich ihr zum ersten Mal die Feder zeigte, die Jared mir vor so langer Zeit geschenkt hatte, nachdem ich die Fallenprüfung bestanden hatte.
»Zu einem Straußen. Einige Emire in Arabien und Ägypten halten sich solche Tiere.«
»Warst du schon einmal dort?« Das Mädchen musterte mich mit leuchtenden Augen. Die Ferne schien auch in ihr Sehnsucht zu wecken.
»Ich habe dort eine Weile gelebt«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Vor sehr vielen Jahren.«
»Viele Jahre? Du siehst noch so jung aus?«
Unser scharfsinniges Mädchen hatte gute Augen. Dem Aussehen nach war ich nicht weit von ihrem eigenen Alter entfernt, auch wenn Jahrhunderte uns trennten.
Wir hatten sie darüber in Unklaren gelassen, dass wir keine richtigen Menschen waren. Spätestens wenn wir im Kampf waren, würde sie es merken, aber noch saßen wir auf der Wiese und lauschten den Grillen, die in der Sommerhitze ihre Gesänge anstimmten.
»Ich bin älter, als du annehmen magst«, entgegnete ich ausweichend, während ich nach einem Grashalm griff. »Mein Vater hatte mich nach Ägypten gebracht und dort hatte ich einst einen sehr guten Freund.« Ich presste die Lippen zusammen. Das hatte ich ihr eigentlich nicht erzählen wollen! Aber Jeanne hatte eine Art an sich, dass man geneigt war, seine Seele zu öffnen und ihr das Herz auszuschütten. Eine sehr gefährliche Eigenschaft, die ihr viel Vorteil, aber auch viel Leid bringen konnte, weil mancher seine Vertrauensseligkeit im Nachhinein bereuen und sie dafür büßen lassen würde.
»Du klingst traurig«, sagte Jeanne, nachdem sie mich ein Weilchen gemustert hatte. »Ist deinem Freund etwas passiert?«
Ich nickte, wagte aber noch immer nicht, sie anzusehen, aus Angst, dass meine Augen die Farbe gewechselt hatten. »Er ist verschwunden«, antwortete ich ausweichend und spürte wenig später die Hand auf meinem Haar. Sie strich über meine Locken, erschreckte dann vor ihrer eigenen Kühnheit und zog die Hand wieder zurück.
»Wenn er noch am Leben ist, wird er zu dir zurückkehren, das weiß ich.«
Das sagte sie mit solch einer Gewissheit, als hätte sie diese Nachricht von den Heiligen, mit denen sie sprach.
Doch was würde sein, wenn Gabriel wirklich zurückkehrte? So viele Dinge waren passiert. Würde ich Sayd aufgeben wollen? Oder – und ich schämte mich dafür – würde ich bei ihm bleiben wollen, selbst wenn Gabriel wieder da war?
Ich kniff die Augen zusammen und zwang mich, an etwas anderes zu denken. Als ich Jeanne ansah, schreckte sie nicht zurück, das Leuchten in meinen Augen musste sich also wieder gelegt haben.
»Ich hoffe, dass er wohlauf ist«, entgegnete ich. »Wo auch immer er ist.«
Jeanne lächelte. »Ich werde für ihn beten und die Heiligen bitten, nach ihm Ausschau zu halten.«
Eine Weile sahen wir uns schweigend an, dann reichte ich ihr die Feder. »Versuch einmal, damit zu schreiben. Du wirst sehen, es macht einen Unterschied, ob man mit einer goldenen Spitze oder einem Federkiel auf dem Papier herumkratzt.«
Herbst und Winter kamen und brachten reiche Ernte und schließlich viel Schnee.
»Malik fragt sich sicher immer noch, wie Schnee aussieht«, sagte David, während er ein paar Holzscheite in die Feuerstelle legte, die sich mitten in unserer Unterkunft befand. Mittlerweile hatten wir im Wald eine einfache Hütte errichtet, nicht gedacht für die Ewigkeit, aber eine gute Unterkunft, um uns vor der Kälte zu schützen. Jeanne kam, sooft es ging, hierher, doch ihre Besuche wurden im Winter seltener, weil sie im Haus gebraucht wurde. Wenn sie doch kam, blieb meist nur Zeit, um ein wenig Kämpfen oder Schreiben zu üben, denn bis zum Einbruch der Dunkelheit musste sie wieder zurück sein.
Wölfe trieben sich nun des Öfteren in der Gegend herum, der Hunger ließ sie ihre Angst vor den Menschen vergessen. Auch an unserer Hütte erschienen sie, und ich konnte Sayd nur schwer davon abhalten, einen von ihnen wegen des Fells zu töten.
Im folgenden Jahr machte unser Schützling gute Fortschritte. Zwar würde sie nie gegen einen von uns bestehen können, doch Jeanne war sehr klug und wendig und wusste das Gelernte gut einzusetzen. Auch ihre Schreibkünste verbesserten sich – schade nur, dass sie sie niemals öffentlich würde demonstrieren können. Ich hatte Jeanne das Versprechen abgenommen, niemandem davon zu erzählen und das Schreiben auch nicht zu üben, wenn sie
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