Das Herz der Kriegerin
um dieses Mädchen unbemerkt Dinge zu lehren, die eine normale Frau nicht können durfte.
»Wann kann ich endlich losreiten?«, fragte sie eines Tages, nachdem wir die Schwerter gesenkt hatten und eine Pause einlegten.
»Bald«, antwortete Sayd, wie so oft auf diese Frage. »Ein wenig musst du noch lernen. Immerhin wirst du den König überzeugen müssen.«
König, so nannten wir den Dauphin nun, nachdem er sich selbst dazu erklärt hatte, ohne je von einem Priester die Krone aufs Haupt gesetzt bekommen zu haben. Karl VII . nannte er sich, doch er war König über ein zerfallenes Land, hatte auf der nicht im mindesten standesgemäßen Burg Chinon seinen Hof eingerichtet und erwog angeblich, in Verhandlungen mit den Engländern zu treten.
»Das wäre alles nicht nötig, wenn er damals nicht diese große Dummheit begangen hätte«, hatte David, der wie immer dafür zuständig war, Wissen einzuholen, seinem Bericht hinzugefügt.
»Allahs Wille ist groß«, sagte Sayd dazu nur. »Es bringt nichts, über Vergangenes zu lamentieren, denn immerhin haben wir Grund zur Hoffnung.«
Seit jener Nacht im Wald hatte sich das Band zwischen mir und Sayd weiter verstärkt. Ich wollte nicht von Liebe sprechen, das hätte ich als Verrat an Gabriel angesehen, doch ich empfand große Zuneigung und Begehren, das wir immer dann, wenn sich eine günstige Gelegenheit ergab, stillten. Ob David etwas davon ahnte, konnte ich nicht sagen, wenn ja, dann war er uns Freund genug, sich nichts anmerken zu lassen.
Noch ein Winter ging ins Land, dann hatte Sayd eine weitere Vision. Sie traf ihn mitten bei einer Kampfübung mit Jeanne, was diese besorgt zu ihm hinlaufen ließ.
»Was ist Euch?«, fragte sie, während sie über sein Haar strich.
Ich wusste nicht, warum, aber diese Geste versetzte mir einen Stich. Aus dem halben Kind war in den vergangenen Monaten eine junge Frau geworden, und obwohl sie den Schwur abgelegt hatte, Jungfrau zu bleiben, spürte ich doch, dass sie Zuneigung zu Sayd fasste. Seinen wirklichen Namen kannte sie nicht, sie nannte ihn noch immer Michael.
Sayd schüttelte den Kopf, ließ sich dann zu Boden sinken und schloss mit letzter Kraft die Augen, denn er wusste, dass sie während der Vision leuchten würden.
»Lass ihn«, sagte ich und legte die Hand auf ihre Schulter. »Gehen wir ein Stück, das wird dauern.«
»Was ist mit ihm?«, fragte sie, als wir uns ein Stück von dem Feenbaum entfernt hatten. Ich blickte zurück, sah, dass David sich neben ihn hockte und auf sein Auftauchen aus der Vision wartete.
»Es ergeht ihm ähnlich wie dir«, erklärte ich ihr. »Er kann gewisse Dinge sehen.«
»Steht er auch in Verbindung mit den Heiligen?«
Wie sollte ich ihr erklären, dass sein Gott einen ganz anderen Namen hatte und dass es für Sayd keine Heiligen, sondern nur einen Propheten gab?
»Er sieht Geschehnisse voraus. Geschehnisse, die das Schicksal der Menschen betrifft.«
Jeanne wirkte ehrlich beeindruckt und ich erkannte beschämt, dass ihre Verehrung für Sayd die einer Schülerin gegenüber ihrem Lehrer war.
»Und was sieht er?«
»Zum Beispiel hat er gesehen, dass du eines Tages den König von Frankreich weihen und für ihn Paris zurückerobern wirst.«
»Dann bekommt er seine Visionen also auch von Gott?« Ich konnte ihr ansehen, dass ihr das gefiel. Und es war ja nicht mal gelogen.
»So ist es. Aber er hält anders Zwiesprache mit ihm als du. Du bist noch ein reines Mädchen.«
Ich hätte schwören können, dass Stolz in ihren Blick trat, doch dann entsann sie sich wieder, dass sich das nicht ziemte, und senkte den Kopf.
Als ich zu David hinüberblickte, hob er die Hand. Entwarnung. Sayd war wieder wach.
Als wir bei ihm ankamen, war Sayd schon wieder auf den Beinen. Dass das goldene Leuchten aus seinen Augen verschwunden war, zeigte mir, dass die Vision nicht besonders heftig gewesen war.
»Geht es dir besser?«, fragte Jeanne besorgt, worauf Sayd lächelnd nickte. »Ja, das tut es.«
»Und was hast du gesehen?« Im nächsten Augenblick biss sie sich auf die Unterlippe. Offenbar hatte sie in ihrer Neugier vergessen, dass auch wir sie nach ihren Visionen nicht fragten.
»Dass es für dich an der Zeit ist, den König aufzusuchen«, antwortete Sayd sanft. »Geh zum Burghauptmann von Valcouleurs und bitte ihn um Unterstützung.«
Jeanne hob verwundert die Augenbrauen. »Ich soll zu Monsieur de Baudricourt gehen? Rauswerfen wird er mich, wenn ich denn überhaupt über die Türschwelle
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