Das Herz der Kriegerin
Aussicht auf ein seidenes Gewand gehabt hätten. »Ich habe ihm erklärt, dass das nicht nötig ist und ich alles habe, was ich brauche. Ich will nur den König sprechen, nichts weiter.«
»Ich glaube kaum, dass er sich davon abhalten lassen wird. Der König hat ihm diese Order sicher selbst gegeben.«
»Nun, wenn sie es bringt, kannst du es tragen«, entgegnete sie leichthin. »Ich werde es nicht anlegen.«
»Auch nicht, wenn du mit einer Weigerung den König beleidigen würdest? An deiner Stelle wäre ich vorsichtig ihm gegenüber.«
»Der König wird den heiligen Ernst meiner Mission nur verstehen, wenn ich in meinen einfachen Kleidern bleibe. Es geht mir nicht darum, das Leben einer Hofdame zu führen. Das verstehst du doch, oder nicht?«
»Natürlich verstehe ich das«, entgegnete ich. »Und du kannst mir glauben, auch ich reiße mich nicht um die Gewänder. Meinetwegen kann die Magd das Kleid tragen, das sie dir bringt. Aber hier bei Hofe musst du vorsichtig sein, denn hier wirst du nicht nur Freunde finden. Bestimmt gibt es auch Freunde der Burgunder hier. Mehr als bei euch in Domrémy.«
Hatten früher ihre Augen bei der Erwähnung der Burgunder geblitzt, blieben sie jetzt unbewegt. »Ich weiß, dass ich im Recht bin, das werden auch jene erkennen müssen, die jetzt noch verirrten Glaubens sind.«
Als sie den Kopf zum Fenster wandte, wusste ich, dass es nicht lohnte, weiter darüber zu diskutieren.
Als die Magd schließlich mit einem weißen, recht schlichten Kleid erschien, nahm Jeanne es an, doch als die Magd gegangen war, legte sie es auf die Bettstelle.
»Immerhin ist es keines der Kleider, die ich an den Hofdamen gesehen habe«, sagte sie, während sie mit der Hand über den weichen und glänzenden Stoff streichelte. »Vielleicht ziehe ich es doch an – irgendwann einmal, wenn ich mit dem König spreche. Doch zum ersten Treffen trete ich so vor ihn, wie ich durch die Tore der Burg geritten bin.«
Ich seufzte und obwohl ich keine Ahnung von Mutterschaft hatte, kam ich mir auf einmal vor wie eine Mutter, die erkannt hatte, dass es zwecklos war, gegen den Willen ihrer unbändigen Tochter vorzugehen.
Dass ich mit meiner Vermutung, bei Hofe könnte es englandfreundliche Adlige geben, richtig gelegen hatte, bestätigte mir Sayd, als ich in ihr Quartier trat – wieder in Männerkleidern, denn wie hätte es wohl ausgesehen, wenn die Anstandsdame der Jungfrau hier auftauchte!
»Es gibt zwei Parteien bei Hofe«, begann David. »Die eine, die darauf drängt, Verhandlungen mit den Engländern aufzunehmen, und jene andere, die möchte, dass die Engländer aus dem Land vertrieben werden, und für die Jeanne steht. Ich muss sagen, dass diese momentan nicht das größte Ansehen bei Hofe genießt.«
»Das heißt also, dass die andere Gruppe Jeanne bereits jetzt feindlich gegenübersteht, obwohl sie noch nicht einmal angehört wurde.«
»Glücklicherweise zählt der Burghauptmann zu den Gegnern der Burgunder und Engländer«, setzte David hinzu. »Ebenso die verwitwete Schwiegermutter des Königs, Jolande. Sie hat großen Einfluss auf Charles und wird Jeanne vielleicht helfen, denn wenn ihr Schwiegersohn zum rechtmäßigen König erklärt wird und diesen Anspruch gegenüber den Engländern durchsetzen kann, haben auch sie und ihre Tochter nur Vorteile.«
»Aber dennoch sind die Parteigänger der Burgunder gefährlich«, schloss ich und sah zu Sayd hinüber, der sich bisher noch nicht zu Wort gemeldet hatte. »Was meinst du?«
Meine Frage schreckte ihn aus seinen Gedanken. Ich glaubte zunächst, er hätte nicht mitbekommen, wovon wir sprachen, doch dann sagte er: »Früher wäre dieses Problem auf andere Weise gelöst worden.«
»Man hätte jene, die gegen einen waren, von Assassinen töten lassen«, setzte ich seine Überlegung fort.
»So ist es. Und sicher wird dergleichen noch überall auf der Welt getan. Doch wir haben dem abgeschworen. Und deshalb müssen wir Jeanne auf andere Weise helfen.«
»Sie hält immer noch an ihrer Vision fest.«
»Das ist gut, nur so wirkt sie überzeugend. Du hast ihre Veränderung seit dieser seltsamen Vision sicher bemerkt.«
Ich nickte. »Ja, und ich suche immer noch nach einer Erklärung.«
»Fanatismus«, schaltete sich David ein, nachdem er eine ganze Weile schweigend seine Waffen poliert hatte. »Sie ist vollkommen durchdrungen von ihrer Mission. Zuvor war es nur der Hass auf die Burgunder und das, was wir ihr gesagt und beigebracht haben. Doch nun ist sie
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