Das Herz der Kriegerin
bereute er, die gut klimatisierte Burg hinter sich gelassen zu haben. Da brachte es ihm auch keine Befriedigung, kurz vor der Abreise einen besonders raffinierten Schachzug an Sayd abgeschickt zu haben, der diesen wahrscheinlich für viele Monate beschäftigen würde.
»Ich bin eingerostet«, stellte er fest, während er sich den Schweiß aus seinem Haar wrang, das zu unzähligen kleinen Zöpfen geflochten war. Während seines Aufenthaltes bei Hofe hatte er sein Haar meist unter einem Turban getragen oder zu einem Zopf zusammengebunden. Eigens für ihre Reise hatte er auf seine aufwendige Frisur zurückgegriffen – zum einen aus Tradition und zum anderen, weil er sich dann nicht jeden Tag kämmen musste.
»Ich habe dir ja gesagt, du solltest deine Übungen nicht vernachlässigen«, entgegnete Saul, dem die Hitze nichts auszumachen schien. Er hatte während ihres Aufenthaltes in Garnata Generationen von Wachleuten ausgebildet, natürlich in wechselnden Abteilungen und immer wieder als sein eigener Sohn. »Du hast dich viel zu lange in den kühlen Gärten der Alhambra aufgehalten.«
»Das merke ich jetzt auch, aber nach ein paar Wochen sollte ich mich wieder an die Hitze gewöhnt haben. Immerhin tröstet mich die Vorstellung, dass Sayd einen Hitzschlag kriegen wird, wenn er sich hier wieder blicken lässt – in England herrscht jetzt richtiger Winter.«
»Sayd hatte noch nie Probleme, sich anzupassen, das weißt du. Wahrscheinlich lässt er sich in England von hübschen Mädchen das Bett und das Herz erwärmen.«
»Das Herz wohl weniger, denn wie wir alle wissen, schlägt es nur für eine.«
»Eine, die ihn nie erhören wird«, entgegnete Saul. »Ehe Laurina keinen Beweis erhält, dass Gabriel tot ist, wird sie ihm nicht untreu werden.«
»So ist es, aber das wird ihn nicht davon abhalten, sich nach ihr zu verzehren. Egal wie viele Mädchen ihm seine Wünsche von den Lippen ablesen.«
Jared seufzte leise. Er konnte Laurina verstehen. Noch immer spukte Giselle durch seine Gedanken, manchmal kam sie im Traum zu ihm, um ihm mitzuteilen, dass es ihr im Reich der Toten gutging. Wie viel schöner wäre es, wenn es ihr im Reich der Lebenden gutginge – mit ihm!
Als Mensch wäre sie mittlerweile ohnehin längst gestorben, doch wenn sie damals in eine Lamie verwandelt worden wäre … Nein, er wollte nicht schon wieder damit anfangen. Den Groll über Sayd und Laurina hatte er längst vergessen. Er sehnte sich ganz einfach nur danach, wieder ein Mädchen wie die liebenswürdige, gefühlvolle Katharerin zu finden.
Aber die Wüstensonne wird mir dieses Verlangen sicher bald austreiben, dachte er mit Blick auf das helle Gestirn, das gnadenlos über ihnen brannte. Außerdem stehe ich vor einer der größten Herausforderungen meines Lebens.
»Hat Laurina dir eigentlich geschrieben, was es mit der seltsamen Gruft auf sich hat?«, fragte Saul, als hätte er den Gedanken seines Kameraden gelesen.
»Das brauchte sie nicht, ich kenne die Geschichte«, entgegnete er. »Ich erzähle sie dir, wenn meine Zunge nicht mehr wie ein trockener Lappen an meinem Gaumen klebt. Nur so viel: Es geht um uralte Lamien, die sich zum Sterben in das Grab begeben haben. Wenn du mich fragst, ist es eher ein Märchen als ein echter Bericht, denn mich hat bisher noch keine lebensmüde Lamie nach dem Weg gefragt.«
»Dann könnte es also sein, dass wir diese Reise ganz umsonst machen?«
Jared zuckte mit den Schultern. »Möglicherweise. Aber als Forscher glaube ich erst daran, dass etwas nicht existiert, wenn ich alle Winkel der Erde vergeblich danach durchkämmt habe.«
»Und wo wollen wir mit der Suche beginnen? Und sag jetzt nicht, bei der Ordensburg, sonst setze ich dir den nächsten Skorpion, der uns begegnet, in den Nacken.«
»Nachdem wir Malik und Ashar abgeholt haben, werden wir erst einmal nach Alexandria reiten und den Händler ausfindig machen. Das hätte Malik eigentlich schon erledigt haben können, aber wir wissen ja, dass er nicht gerade der Forscher von uns ist. Vielleicht hat der Händler noch weitere Schriftrollen – oder er verrät uns, wo jene herstammt, die er an die Derwische verscherbelt hat. Aber jetzt sollten wir uns beeilen, sonst kommen wir nie an der Burg an.
Drei Tage später tauchten die Zinnen der Ordensburg vor ihnen auf. Jared machte auf einer Sanddüne Halt, zog einen kleinen Spiegel aus der Tasche und fing damit die Sonnenstrahlen ein. Mit Adlerblick verfolgte er die Lichtpunkte auf der Mauer und bemerkte
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