Das Herz der Kriegerin
die augenscheinlich vom Stadtvogt stammte.
»Wir sollen morgen Abend zu ihm kommen«, sagte er, bevor er sie an mich weiterreichte. Tatsächlich stand nicht mehr als das auf dem Zettel. Kein Grund, keine Zeit, kein Treffpunkt, wobei ich aber annahm, dass das Treffen wieder in seiner Herberge stattfinden sollte.
»Du und ich?«, fragte ich, in der Hoffnung, bald von dem sinnlosen Dienst als Magd erlöst zu werden.
»Natürlich, ich habe ihm nicht gesagt, dass noch mehr von uns hier sind.«
»Das wird dann aber eine Überraschung für ihn, wenn wir später ebenfalls auftauchen, um den Mörder dingfest zu machen«, wandte Belemoth ein, während er, in blitzsauberen Gewändern auf seiner Bettstatt hockend, die Schärfe seines Messers mit einem Haar prüfte.
»Tanneguy ist derlei von uns gewohnt«, entgegnete Sayd abwinkend. »Vielleicht hat er wirklich etwas für uns.«
Am nächsten Abend machten wir uns auf den Weg zu du Chastels Herberge. Zum ersten Mal seit langem war ich wieder allein mit Sayd und irgendwie überkam mich die Nervosität. Wenn er sich schon nicht scheute, vor David und Belemoth Vertrautheiten anzubringen, wie würde es erst sein, wenn wir hier durch die Straßen gingen, unbeobachtet von den anderen?
Insgeheim wünschte ich mir, dass er nach meiner Hand greifen, irgendetwas tun würde, doch Sayd ging mit undurchdringlicher Miene neben mir, wahrscheinlich war er mit den Gedanken weit weg.
Mich überfiel derweil das schlechte Gewissen. Warum nur narrte mich mein Verstand so? Warum dachte ich nicht an Gabriel? Die simple Antwort, die mir mein Verstand gab, missfiel mir. Du hast ihn seit über hundert Jahren nicht gesehen. Deine Liebe mag vielleicht noch da sein, aber sie ist nicht mehr so stark wie damals, als er noch ständig um dich war.
Das stimmte leider, und ich schämte mich dafür, denn hatte ich ihm nicht gelobt, dass ich ihn immer lieben würde, ganz gleich, was sich zwischen uns stellte?
»Hier entlang«, sagte Sayd auf einmal und zog mich am Arm in eine Seitengasse. Erst jetzt erkannte ich, dass wir hier hatten abbiegen müssen. Die Herberge war nur noch ein paar Schritte entfernt. Zwei Männer kamen uns entgegen, nahmen jedoch keine Notiz von uns. Ungesehen betraten wir das Haus, grüßten den trägen Wirt, der schläfrig gegen eines seiner Weinfässer lehnte, und erklommen die Treppe.
Ordentlich angekleidet trat uns du Chastel entgegen und bedeutete uns mit einem leichten Kopfnicken, wir sollten eintreten.
»Nun, was habt Ihr für uns?«, fragte Sayd, während wir uns an dem kleinen, schiefen Tisch niederließen.
»Es gibt Neuigkeiten von den Burgundern. Ich weiß nicht, ob Ihr den Boten bemerkt habt?«
Ich hatte nichts mitbekommen, denn der Koch des Dauphin hatte an diesem Vormittag einen Topf mit Milchgrütze anbrennen lassen. Sophie, die jüngste Scheuermagd, und ich waren die Unglücklichen gewesen, die den Kessel wieder in Ordnung hatten bringen müssen – über dem Gekratze und Geschabe hatte ich natürlich nur beiläufig mitbekommen, dass ein Reiter angekommen war.
»Nein, das haben wir nicht«, entgegnete Sayd. »Umso wertvoller ist uns, was Ihr zu berichten habt.«
Dem ehemaligen Stadtvogt schwoll sichtbar die Brust vor Stolz. »Schon vor einigen Tagen hat mein Herr, der Dauphin, Kontakt zu Johann Ohnefurcht aufgenommen. Jetzt kam die Nachricht. Der Burgunder will zu einer Unterredung anreisen.«
»Über einen Friedensschluss?«
»Ja, und über die Rückkehr des Dauphin nach Paris. Beide sind höchst gewillt, dem anderen zuzuhören und eine Einigung herbeizuführen.«
Ich schielte hinüber zu Sayd. Hatte er in seiner Vision gesehen, dass der Dauphin den ersten Schritt macht? Dass gerade der Dauphin nachgeben wollte, erschien mir ein wenig unglaubwürdig.
Doch Sayd ließ sich nichts anmerken.
»Wann und wo soll das Treffen stattfinden?«, fragte er nur.
»An einer Brücke über die Yonne, nahe Montereau. An beiden Ufern werden jeweils die Zelte aufgeschlagen, allerdings wünscht Johann kein großes Geleit. Es soll mehr eine Unterredung werden als eine Verhandlung.«
»Eine Unterredung?«, wunderte sich Sayd.
»Ja, immerhin waren der Dauphin und er früher einmal durch ein freundschaftliches Band geeint. Der Fürst war einer der Erzieher des Dauphin.«
Das überraschte mich ebenso wie Sayd. Warum hatte du Chastel das nicht vorher schon angebracht?
»Wahrscheinlich möchte er ihn an diese Zeiten erinnern«, setzte der Stadtvogt hinzu. Eine seltsame Heiterkeit
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