Das Herz der Kriegerin
steht«, erklärte uns Sayd, als wir die Stadttore durchquert hatten.
Paris hatte sich äußerlich kaum verändert. Die zerstörten Häuser waren repariert worden, neue Bauten waren hinzugekommen. Doch die Stimmung war jetzt eine andere. Nicht dass die Leute bedrückt gewesen wären, es war eher Misstrauen, was hier in der Luft lag. Wurden jene, die zum Dauphin hielten, immer noch verfolgt? Erwartete der neue Fürst, dass sie einander anschwärzten, sobald der Verdacht aufkam, jemand sei königstreu?
Die Wachposten am Tor trugen jedenfalls burgundische Tracht und hätten es sicher nicht gern gesehen, wenn wir nach Königstreuen in Lothringen fragten.
Auf dem Weg durch die Stadt kamen wir auch am Königsschloss vorbei. Das Banner Philipps des Guten prangte an der Zinne, offenbar war er in der Stadt und nicht auf dem Schlachtfeld. Bereitete er etwa den Einzug des englischen Königs in Paris vor? Dieser Gedanke verursachte mir heftiges Unwohlsein. Dem Volk würde es ganz sicher nicht gefallen, von dem Mann beherrscht zu werden, der wie ein Räuber in dem Land wütete.
Doch nun waren wir hier, und auch wenn es wie die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen anmutete, wir würden das Mädchen finden und es seiner Bestimmung zuführen.
17
S and. Meilenweit, so weit das Auge blickte, nichts als Sand. Ein wolkenloser, dunkelblauer Himmel spannte sich über die rötlichen Hügel, in die der Wind ein zartes Wellenmuster geschnitzt hatte. Vereinzelt ragte ein Ast aus dem Boden, doch hier, mitten im Herzen der Dscheret, jenem Teil, der von den Beduinen Erg – Dünenmeer – genannt wurde, gab es kaum Leben.
Jared lächelte, als er bemerkte, dass er in seinen Gedanken die altägyptische Bezeichnung dieser Wüste benutzt hatte, die er aus seinen Kindertagen kannte. Die Dscheret hieß bei den Arabern Sahara, bei den Tuareg Ténéré. Nennt sie, wie ihr wollt, schimpfte er im Stillen, aber gebt mir endlich ein Hinweis darauf, wo sich dieses verdammte Grab befindet!
Mittlerweile waren sie ausgelaugt und des Suchens überdrüssig, die Stimmung zwischen ihnen war angespannt. Ein falsches Wort genügte, um einen Streit vom Zaun zu brechen oder jemanden für Wochen schmollen zu lassen.
Um wenigstens für Minuten allein sein zu können, hatte er sich mit seiner Karte und einem Becher Wasser in den Schatten einer Düne verzogen. Außerdem ging es ihm auf die Nerven, wenn seine Freunde ihn zum hundertsten Mal fragten, ob er nicht eine neue Idee hätte. Dass selbst sein Verstand Grenzen hatte, hatte er schon vor einer Weile einsehen müssen. Die Hitze ringsherum, das Gefühl, bei lebendigem Leib gebraten zu werden, und das Rumoren der Quelle in seiner Brust machten es nicht besser.
Seufzend entrollte Jared die Schriftrolle. An welcher Stelle hatte er einen Fehler gemacht? Mittlerweile hatten sie die Wüste einmal durchquert und waren nun zur Hälfte wieder zurückgegangen. Jede in Frage kommende Oase hatten sie aufgesucht, immer auf den Spuren der seltsamen, furchtbar giftigen Skorpione. Doch nirgends gab es einen Hinweis auf das Grab.
Nachdem er sichergestellt hatte, dass weder ein Skorpion noch eine Schlange darunter war, ließ er sich auf einem großen Stein nieder und betrachtete noch einmal die Karte, die inzwischen mit zahlreichen seiner Anmerkungen versehen war.
Ein grimmiges Lächeln huschte über Jareds Gesicht. Eine Karte voller Anmerkungen bezüglich dessen, wo etwas nicht zu finden war. Wenn das keine Ironie war! Gabriel hätte sich kaputtgelacht, schoss es ihm durch den Sinn, doch da der Gedanke an seinen verschwundenen Freund, mit dem er so manchen Streit ausgetragen hatte, ihn bloß ablenken würde, schob er ihn rasch beiseite.
Wie lange suchten sie jetzt schon nach dem verdammten Grab? Ein Jahr? Zwei Jahre? Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Dennoch hatte er nicht vor, aufzugeben.
Wenn Selim und Melis es bereits gefunden hätten, würden wir es sehen. Wahrscheinlich irren sie genauso wie wir durch die Wüste und schnuppern den Boden wie Hunde ab.
Ein Geräusch hinter ihm brachte Jared dazu, sich umzuwenden. Auch Malik, dessen olivfarbener Teint die Hitze eigentlich gewöhnt war, wirkte ein wenig verbrannt, seine Haut glühte rot wie ein gekochter Hummer. Schweiß klebte sein schwarzes Haar an seine Stirn und die Schläfen, seine schmutzig-weiße Djellaba war ebenfalls durchnässt. Kaum zu glauben, dass ein Sohn der Wüste die Sonne hier nicht vertrug! Aber auch Jared hatte festgestellt, dass er die Hitze nicht mehr
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