Das Herz der Nacht
zu viel getrunken hatte oder glaubte, er habe seine Gattin nicht genügend im Griff. So schlimm wie dieses Mal hatte er sich allerdings noch nie aufgeführt, dass er in seinem blinden Zorn mit der geballten Faust zuschlug. Die Fürstin hatte ihm in ihren langen Ehejahren bisher auch nie einen Anlass gegeben, an ihrer Treue zu zweifeln.
Und genau das war es, was sie mehr noch als die Schmerzen beschäftigte und ihr den Schlaf raubte.
Hatte er denn ein Recht, an ihrem ehelichen Treuegelöbnis zu zweifeln?
Natürlich nicht!, war der erste entrüstete Aufschrei in ihr gewesen. Was hatte sie schon getan? Mit einem Herrn der Gesellschaft eine Ausfahrt unternommen, bei der ihr Groom ihr ständig im Nacken saß. Daran konnte man nun wirklich nichts Anstößiges finden. Und doch blieb ihr der Protest im Hals stecken und fühlte sich ein wenig falsch an. Hatte er sie nicht geküsst?
Was war schon ein Kuss! Eine kleine Tändelei sollte solch eine brutale Reaktion rechtfertigen?
Aber war es denn eine leichte Tändelei? Ein Kuss, der nichts bedeutete?
Selbst wenn nicht. Es gab nichts auf dieser Welt, das einem Ehemann das Recht gab, so gegen seine Frau vorzugehen!
Mit einem Seufzer versuchte sie sich in eine Position zu drehen, bei der nicht jeder Knochen schmerzte.
András’ Gesicht stieg vor ihr auf und ließ ihr Herz schneller schlagen. Warum nur bewegte er sie so tief? Beherrschte ihre Gedanken bei Tag und bei Nacht. Warum lebte sie nur noch in Erwartung des Augenblicks, wenn sie ihn wieder vor sich sehen und sein schönes Gesicht und seine hochgewachsene Gestalt mit den kraftvollen, geschmeidigen Bewegungen in sich aufsaugen konnte? Hatte sie sich in ein junges, hübsches Gesicht verguckt wie ein liebesblinder Backfisch?
Das war gar nicht ihre Art. Und es war auch ganz sicher nicht sein Äußeres, das sie anzog. Ober zumindest nur zu einem kleinen Teil. Viel schwerer wog, dass er so anders war als alle Männer, denen sie in der Gesellschaft begegnete. Sie konnte es schlecht beschreiben, was sie so sehr anzog. Er war einerseits ernst und tiefsinnig, stets charmant und aufmerksam. Wenn er mit ihr zusammen ausging, gab er ihr jeden Augenblick das Gefühl, dass sie für diesen Abend die einzige Person auf der Welt war, die zählte. Er war humorvoll und traf mit seinen Bemerkungen pfeilscharf den Kern. Und er brachte sie zum Lachen. Und dennoch konnte das alles zusammen die unheimliche Faszination nicht erklären, die er auf sie ausübte.
Unheimlich war vielleicht genau das richtige Wort. Gefährlich, unbekannt. Tief in ihrem Innern ahnte sie das dunkle Geheimnis. Vielleicht war sie wie die Motte, die um das verlockend flackernde Licht flattert und noch nicht ahnt, dass sie sich an der Flamme verbrennen und ihr Leben verlieren wird.
Therese lauschte ihrem Herzschlag. Es war ein schmerzhaftes Pochen, und die Sehnsucht schmeckte bitter. Sehnsucht war nur etwas Süßes, wenn sie mit Hoffnung gepaart wurde. Doch diese Freude war ihr verwehrt. Es musste bei ihren verbotenen Träumen bleiben. Es würde bei ihnen bleiben! Nicht schuldig !, lautete das Urteil.
Aber sprach nicht das neue Testament davon, dass bereits der Gedanke, der Wunsch zu sündigen wie die Sünde selbst sei? Wurde der Ehebruch nicht in Gedanken vollzogen?
Und selbst wenn. Diese Gedanken konnte ihr Gatte nicht sehen, und er konnte sie nicht mit seinem gekränkten Stolz und seiner Eifersucht verfolgen. Die Herrschaft über ihren Körper hatte sie vielleicht mit ihrem Ehegelöbnis aufgegeben. Ihr Geist gehörte allein ihr, und so ließ sie ihn in süßem Triumph auf verbotenen Pfaden wandeln.
Wie herrlich und wie schrecklich zugleich! Ein eisiger Schauder rann über ihren Körper, so als habe jemand das Fenster geöffnet und der Winterwind würde über das Bett streichen. Therese zog die Decke enger um sich und zuckte zusammen, als der Schmerz wieder durch ihre Schulter fuhr. Das Gefühl der Kälte aber blieb. Und zu ihm stellte sich noch ein anderes ein, so dass sie nicht beschwören konnte, dass es die Kälte war, die dafür sorgte, dass sich all die feinen Härchen an ihrem Körper aufrichteten.
Wenn es nicht völlig unmöglich wäre …
Da zeigte sich wieder einmal die Kraft der Gedanken. Die Bibel tat vielleicht ganz recht daran, vor der Einbildungskraft zu warnen und sie der Sünde gleichzustellen. Nun reichten allein schon ein geschundener Körper und ein gedemütigter Geist, eine Illusion heraufzubeschwören. Therese konnte seinen Blick auf sich
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