Das Herz der Nacht
hatte die ganze Nacht gewacht und jede Bewegung auf der Gasse und dem Platz vor dem Palais beobachtet und dabei versucht, auch die Rückseite, den Hof mit der Stallung und der Wagenremise, nicht zu vernachlässigen, um seinem Herrn weitere böse Überraschungen zu ersparen. Es war eine lange, einsame Nacht gewesen, in der nichts Außergewöhnliches passiert war. Viel Zeit, in dunklen Stunden die Gedanken kreisen zu lassen.
Was ging hier vor sich? Wer wollte seinem Herrn schaden? Was überhaupt sollte mit dieser bösen Scharade erreicht werden? Sollten seinem Herrn diese Morde untergeschoben werden, um ihn damit an den Galgen zu bringen? Ein Grinsen entblößte Gorans erstaunlich kräftige Zähne. Das würde nicht so einfach werden! Einen Vampir zu verhaften und in eine Gefängniszelle zu sperren war bereits nahezu unmöglich, und ihn gar auf einem Karren zur Spinnerin hinausfahren und an einem Strick aufziehen?
Die würden sich wundern, dachte Goran. Ihm die Luft abzuschnüren würde einen Vampir nicht seiner Existenz berauben, und dass sein Genick bei solch einem Fall brechen und ihm daraus Schaden entstehen könnte, bezweifelte der Diener. Unvermittelt erstarb sein Lächeln, als er sich diese Szene am Galgen ausmalte. Die vielen Gaffer, die gekommen waren, der Gefangenenseelsorger, der für eine längst verlorene Seele betete, die Militärpolizisten, die für Ordnung sorgten und das Volk zurückhielten, Freymann Hofmann, der als Scharfrichter die Urteile ausführte. Das alles barg keinen Schrecken für ihn. Doch was, wenn die Sonne am Himmel stand, wenn sich der Zug mit dem Verurteilten auf den Weg machte? Hinrichtungen fanden für gewöhnlich um zehn Uhr am Vormittag statt. Dann würde es ein Spektakel ganz anderer Art geben, das weder die Justiz noch das Volk so erwarteten. Ein Vampir, der von den Strahlen der Sonne vernichtet wurde!
Goran war nicht von zarter Natur, und es gab einige Menschenleben, die er auf seinem Gewissen hatte, doch diese Vorstellung ließ ihn erschaudern.
Warum erschreckte ihn diese Vorstellung so? Er dachte darüber nach. Es war keine Liebe, die ihn mit seinem Herrn verband. Respekt, ja, und auch Bewunderung. Der Graf war ein lautloser Kämpfer voller Eleganz, ein Raubtier, das den Gesetzen der Natur gehorchte, ohne Falschheit, ohne Kompromisse. Der Vampir hatte dem Zigeuner das Leben gerettet, und dieser hatte ihm dafür Treue bis in den Tod geschworen. So einfach war das. Und so war er ihm von den Karpaten bis nach Prag, nach Budapest und nach Wien gefolgt.
Wenn der Vampir vernichtet würde, wäre seine Schuld beglichen und er wäre frei. Frei zu seinesgleichen in die Karpaten zurückzukehren.
Oder etwa nicht? Hatte er dann nicht als sein Diener und Vertrauter versagt und sein Leben ebenfalls verwirkt?
Ja, vielleicht. Aber das war es nicht, was ihn störte. Graf Báthory war ein Vampir und hatte unzählige Menschen getötet. Er lebte nach seiner Natur. So war das nun einmal. Doch es durfte nicht geschehen, dass ein anderer ihm seine Taten unterschob und entschied, dass der Graf für Morde, die er nicht begangen hatte, verurteilt werden würde. Das war gegen die Ehre. Das würde Goran nicht zulassen!
Und so hielt er sich wach, bis der Morgen graute und der Graf zurückkehrte, um ihm melden zu können, dass niemand sich dem Palais genähert hatte.
»Danke. Leg dich nun auch ein wenig zur Ruhe«, wies ihn der Graf an, ehe er den Deckel seines Sarges schloss. Anscheinend fürchtete er in den Morgenstunden dieses von Schneewolken verhangenen Tages keine Störung.
Welch Irrtum! Das musste Goran schon bald erkennen, als ein Klopfen am Tor ihn aus dem Schlaf riss. Noch ehe es zum zweiten Mal klopfte und Goran richtig wach war, stand er schon am Fuß der Treppe, den Körper wie eine Raubkatze geduckt, die Hand am Griff seines Dolches. Wachsam huschte sein Blick durch die Eingangshalle. Noch einmal klopfte es. Nicht höflich. Fordernd. Befehlend!
»Aufmachen! Hier ist die Kriminalpolizei!«
Goran zögerte einen Augenblick, dann schob er die Messerscheide unter seinen Rock. Auch wenn er sich mit dem Dolch in der Hand sicherer fühlte, so war ihm doch klar, dass das keinen günstigen Eindruck bei den Kriminalpolizisten machen und seinem Herrn schaden würde.
Noch einmal pochten sie gegen die Tür. »Aufmachen!«
Goran setzte eine stoische Miene auf, öffnete das Tor und verbeugte sich.
»Schon wieder dieser stumme Diener«, sagte der Beamte, der Schobermeier hieß. »Hat der Graf
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