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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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aber gegen das Geschöpf, das hinter diesem stand und ihn aus dem Gefangenenhaus geholt hatte?
    Was war ihm wichtiger zu schützen, die Unversehrtheit seines Rückzugsortes oder Gorans Leben? Natürlich würde Goran darauf bestehen, im Palais zu bleiben und es für seinen Herrn zu verteidigen, hätte er von András’ Überlegungen gewusst. Er war ein Zigeuner aus den Karpaten. Seine Treue und sein Mut waren unerschütterlich. Doch vielleicht gerade deshalb war es besser, den Diener während der nächsten Nächte bei sich zu behalten, bis András das Problem aus der Welt geschafft hatte. Denn das würde der Vampir tun müssen. Das war ihm klar, seit ihm die Witterung im Gefangenenhaus in die Nase gestiegen war.
    Goran unterbrach seine Gedanken und hielt ihm einen Zettel entgegen.
    András nahm ihn mit spitzen Fingern. »Er ist gerade abgegeben worden? Während du die Pferde angespannt hast? Kanntest du den Boten?«
    Goran schüttelte den Kopf. Er zeigte mit der Handfläche die Größe des Jungen an und zog eine Grimasse.
    »Irgendein Straßenjunge, der sich einen Kreuzer verdient hat?«
    Etwas zögerlich hob András das hastig versiegelte Blatt an die Nase. Er konnte den Jungen riechen – schlecht ernährt und schon lange nicht mehr gewaschen –, doch das war, wie erwartet, nicht die einzige Duftnote des Briefes. Überraschend war nur, dass ihm der Geruch so vertraut war und er ganz sicher nicht zu seinem verschwundenen Einbrecher gehörte! Hastig riss András das Schreiben auf.
    Er hatte ihre Schrift ja bereits auf den Notenblättern bewundert. Ja, es waren ihr Duft und ihre Schrift, auch wenn sie in dieser Nachricht Hast ausdrückte, Verunsicherung und Schmerz.
    Verehrter Graf Báthory,
    ich denke, Sie haben ein Recht, es zu erfahren, obgleich Sie natürlich nicht verwandtschaftlich an unsere Familie gebunden sind. Doch ich hoffe, Sie nicht nur als meinen Schüler am Pianoforte, sondern auch als einen Freund betrachten zu dürfen, dem ich mein Entsetzen und meine Trauer berichten kann.
    Vater ist tot! Ja, es ist unbegreiflich, aber unbestritten. Ich habe seinen leblosen Körper gesehen. Sagten die Ärzte nicht, er sei genesen, und dachte ich nicht, er würde aus dem Spital entlassen? Und nun das, ein überraschender Blutsturz in den frühen Morgenstunden, als keine der Schwestern oder Ärzte in der Nähe waren, ihm zu helfen. So starb er allein in seinem Blut und lässt uns fassungslos zurück.
    Ich werde die folgenden Abende keine Zeit für Sie haben. Es gibt so viel zu tun. So vieles zu bedenken. Die Aufbahrung, eine Seelenmesse, die Beerdigung. Verzeihen Sie, dass ich mich bis dahin von Ihnen verabschiede. Ich lasse Ihnen eine Nachricht zukommen, wenn wir den Unterricht fortsetzen können. Bis dahin verbleibe ich mit den besten Wünschen
    Ihre Karoline Maria Wallberg
    András ließ den Brief sinken. Goran sah ihn alarmiert an. »Nichts Schlimmes, ich meine nicht für uns. Es hat nichts mit unserem Einbrecher und der Spur des Blutes zu tun.«
    Goran entspannte sich und öffnete seinem Herren den Wagenschlag, ehe er sich auf den Kutschbock schwang und die vier Rappen anziehen ließ. In halsbrecherischem Tempo rollte die Kutsche der Freyung entgegen, doch András achtete nicht darauf. Seine Gedanken weilten bei Karoline und bei den Veränderungen, die der Tod des Vaters mit sich brachte. Sein erstes Gefühl war Erleichterung. Der alte Mann stand ihm nicht mehr im Weg. Mit Carl Eduard würde Karoline leichter fertig werden. Hatte sie nicht in den vergangenen Tagen seinen Vorschriften getrotzt?
    Vermutlich wusste der Bruder noch immer nicht, dass sie nahezu jeden Abend mit Sophie das Haus verließ, um den Grafen in seinem Palais zu unterrichten. Nein, diese Unschicklichkeit würde der Bruder genauso wenig dulden wie ihr Vater. Und ob Karoline sich offen gegen ihn zu stellen wagte, war keineswegs sicher. Er würde ein wenig unterstützend eingreifen müssen, auch wenn er die Macht seines Blickes ungern bei ihr anwenden wollte. Nicht bereit war er allerdings, auf ihren Unterricht und ihre Gesellschaft zu verzichten. Auf ihre nicht und auch nicht auf die von Sophie! Bei dem Gedanken an das Mädchen lächelte er. Sie war etwas ganz Besonderes, und er wollte ihren Lebensweg begleiten. Was würde sie alles von ihm lernen können, wenn er sie ein wenig unter seine Fittiche nahm. Sie war eine wunderbare Mischung aus einem Menschen und einem Wesen der Nacht!
    András dachte an Carl Eduard, und seine Miene wurde wieder

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