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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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»Ach, wenn das Leben nur anders wäre. Nicht wie ein Fluss, dessen reißende Wasser einen immer nur abwärts in eine Richtung ziehen, bis man am Ende aller Tage das Meer erreicht. Es wäre so viel einfacher, wenn man Nebenpfade hätte, die man erkunden und wieder verlassen kann, um dann der Hauptstraße weiter zu folgen. Doch wer einmal den Strom verlässt, um den ist es geschehen. Der bleibt hängen, wird in die Tiefe gerissen oder achtlos ans Ufer geworfen, wo sein letzter trauriger Gedanke ist, dass er das Meer nun nicht mehr erreichen wird.«
    »Und wohin würde dieser Seitenarm Sie führen?«
    »Fragen Sie nicht!«
    »Warum nicht? Haben wir uns nicht schon so viel anvertraut? Sprechen Sie es mutig aus! Hier kann Sie niemand hören außer mir, und ich bin Ihr Freund.«
    Hatten sie sich denn einander anvertraut? Von ihrer Seite her ja, doch was wusste sie über den Grafen und seine heimlichen Gefühle? Konnte sie es wagen, so etwas auszusprechen?
    Er ließ ihr Zeit. Die Räder knirschten im Schnee. Sonst war nichts zu hören.
    »Ach, wenn es nur wie in einem der Kindermärchen möglich wäre. Man reist in ein Zauberland und erlebt dort ganz wundervolle Dinge, die man ein Leben lang in seinem Herzen bewegt. Und wenn man aus dem Zauberland zurückkehrt, ist alles wie es war, und das Leben geht seinen Gang, ohne Fragen, ohne Furcht, ohne Reue.«
    »Es wäre aber kein Kindermärchen, das Sie im Zauberland suchen, nicht wahr?«
    »Nein«, gestand sie. »Nur einmal möchte ich es spüren, wie es ist in Liebe und mit Zärtlichkeit, wenn es zur Erfüllung führt und nicht mit einem Gefühl der Leere endet, in Erleichterung, es überstanden zu haben, mit dem Bedürfnis, sich zu reinigen und zu vergessen.« Er war so höflich nachzufragen, was »es« bedeutete, obwohl er es natürlich wusste, doch sie scheute sich, die Worte auszusprechen.
    »Es liegt an Ihnen«, sagte er stattdessen.
    »Nein, das ist nicht wahr«, widersprach Therese heftig. »Es gibt kein Zauberland, und es gibt keine Tat ohne Folgen. Alles würde sich ändern!«
    »Fürchten Sie sich, dass Ihr Gatte davon erfahren könnte? Das müssen Sie nicht. Das soll nicht Ihre Sorge sein.«
    Therese überlegte. Überrascht stellte sie fest, dass das ihre kleinste Sorge war. »Nein, das ist es nicht, obwohl das natürlich niemals geschehen dürfte. Sie wissen, wie er reagieren würde. Es ist die Angst, Sie, lieber Freund, zu verlieren.«
    Nun schien er überrascht. »Warum das?«
    »Nun ja, ich will mich nicht wie die Männer aufführen oder diese Sorte von Damen, die sich ständig eine Liebschaft halten. Ich will es nur einmal erleben und davon zehren. Doch wie könnte das möglich sein? Es gehören immer zwei Menschen dazu, und wenn der andere dann mehr will, dann müsste ich ihn verletzen und wegschicken.«
    »Er würde Ihre Entscheidung annehmen. Von dieser Seite müssten Sie keine Rache fürchten.«
    »Das weiß ich!« Sie griff nach seinen Händen und presste sie gegen ihre Wangen. »Aber ich würde Ihre Freundschaft verlieren. Wie könnte es danach wieder so sein, wie es jetzt zwischen uns ist?«
    András löste seine Hände von ihren Wangen und küsste zärtlich ihre Fingerspitzen. »Es wird so sein, wie Sie es möchten. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf, was in meiner Macht steht, das werde ich tun. Vertrauen Sie mir, ich werde Ihre Wünsche erfüllen und Ihren Träumen Farbe verleihen. Es wird sein, wie Sie es gesagt haben, ein Ausflug ins Zauberreich, aus dem Sie jederzeit in Ihr altes Leben zurückkehren können, die Erinnerung wie ein Schatz in Ihrem Herzen. Sie müssen mir nur sagen, wann Sie bereit sind.«
    Therese lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter. »Ach, mein Freund, Sie lesen in meinen Gefühlen wie in einem offenen Buch. Aber was ist mit Ihnen? Warum würden Sie es tun? Ich bin Ihre Freundin, ja, aber in einem alternden Körper. Sie dagegen …«
    Er verschloss ihre Lippen mit den seinen. »Still! Nur weil ich gelernt habe, meine Gefühle zu verschließen und meine Leidenschaft zu verbergen, heißt es nicht, dass sie nicht in mir glüht. Glauben Sie mir, nicht einmal für die Fürstin Kinsky würde ich ein Opfer bringen!«
    Sie lachte erstickt, wie unter Tränen. »Ach, ich wünsche mir Mut, es zu wagen.«
    »Der Mut ist in Ihnen. Sehen Sie, wir fahren gleich durch das Tor. Sie haben Zeit, bis der Wagen vor dem Palais anhält. Sie müssen nur sagen: Mein Freund, morgen ist die Nacht der Nächte, da wir ins Zauberland reisen. Machen Sie sich

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