Das Herz der Nacht
danach, ihre eigene Lust zu befriedigen. Dann ist es ein Überfall, der die Scham ohne Rücksicht niederreißt, statt sie zu umschmeicheln, und der für die Frau nur ein Gefühl von Abscheu zurücklässt, bis sie sich daran gewöhnt hat und lernt, die Forderungen zu erdulden. Begehren und Lust können daraus nicht entstehen.«
Therese war es, als spürte sie Tränen aufsteigen. Sie blinzelte heftig und wandte den Blick ab.
»Mein Freund, ich hätte nicht geglaubt, dass es einen Mann gibt, der so reden und so fühlen kann.«
András wehrte mit einem leichten Lachen ab. »Therese, Sie sehen die Männerwelt zu schwarz. Daran müssen Sie arbeiten!«
Sie kicherte, auch wenn es ein wenig verschnupft klang.
»Ach, mein Freund, Sie haben so viel Licht in mein Leben gebracht, aber auch eine unbekannte Qual, die mir keine Ruhe mehr lässt. Nein, das wollte ich nicht sagen, vergessen Sie es!«
Er zog ihre Hände zu sich, die sie vors Gesicht geschlagen hatte, und half ihr von ihrem Sessel hoch. »Kommen Sie, lassen Sie uns ein paar Schritte gehen. Diese alten Gräfinnen starren bereits zu uns herüber.«
Therese schob ihre Hand in seine Armbeuge und folgte ihm aus dem Ballsaal.
»Was kann ich für Sie tun? Noch ein Glas Champagner oder Punsch, oder wollen wir noch einen Walzer wagen? Ich bin mir sicher, Sie haben keinen anderen Verehrer sich in Ihrer Tanzkarte eintragen lassen.«
Therese fühlte eine Leere, die nicht zu diesem Tag passte. Ja, es war geradezu Verzweiflung, die sie niederzudrücken suchte.
»Würden Sie mich nach Hause bringen? Ich kann den Trubel nicht mehr ertragen. Ich möchte lieber allein sein.«
Der Graf verbeugte sich vor ihr. »Alles, was Sie wünschen, meine Teure.«
Natürlich gelang es ihr wieder einmal nicht, in seiner Miene zu lesen. Was ging in ihm vor? Zürnte er ihr, dass sie ihm den Abend verdarb? Unbegreiflicherweise kam es ihr vor, als sei er eher erleichtert, dem Spektakel zu entfliehen.
Warum? Was wollte er? Was dachte er von ihr und welche Gefühle hegte er? Hatte er überhaupt Gefühle – Gefühle, die sie betrafen? Oder war er einfach nur höflich und charmant zu einer alternden Frau?
Er ließ sie für einige Minuten allein, um seinen Wagen vorfahren zu lassen. Ihr Gatte konnte dann ihre Kutsche für seine Rückkehr benutzen. Der Fürst musste noch irgendwo auf dem Ball unterwegs sein. Sie hatte ihn nicht wieder gesehen, seit er sich von seiner unglückseligen Schlittenpartnerin verabschiedet hatte. Oder sollte sie lieber sagen, sie in dieser unangenehmen Situation im Salon im Stich gelassen? Nun, egal. Da der Fürst ganz sicher nicht unter den Walzer tanzenden Paaren zu finden war, vermutete Therese ihn in einem der Salons in Gesellschaft seiner Jockeyclub-Freunde. Vielleicht hatten sie irgendwo einen Kartentisch aufgestellt. Bei einem Hofball ein Ding der Unmöglichkeit, aber bei solch einer Maskerade?
»Therese, darf ich bitten?« András verbeugte sich und bot ihr den Arm. »Der Wagen ist vorgefahren.«
Ohne Bedauern verließ sie den Ball, der sicher noch Stunden dauern würde und auf dem es weit ausgelassener zuging, als man es von den streng nach Protokoll verlaufenden Veranstaltungen in der Hofburg gewohnt war.
Als sie sich in eine warme Felldecke gewickelt in die Polsterbank zurücklehnte und der Kutscher die Pferde anziehen ließ, sah Therese schweigend durch das Fenster auf die märchenhafte Winterlandschaft, die sich im Sternenglanz vor ihr ausbreitete. András ließ sie ihren Gedanken nachhängen. Er saß in die Ecke gelehnt neben ihr, doch trotz der lässigen Haltung hatte sie das Gefühl, dass er nie völlig entspannt war. Nein, entspannt vielleicht schon, dennoch immer wachsam. Wie ein Tier, aufmerksam und stets bereit, anzugreifen oder zu fliehen. Der Graf sah Therese nicht direkt an, und dennoch war ihr bewusst, dass ihm nicht die kleinste Regung entging, obwohl es in der Kutsche fast völlig dunkel war und sie seine Miene nicht erkennen konnte.
Die Pferde schritten durch den Schnee dahin. András schwieg. Er würde es ihr nicht abnehmen. Sie würde den Anfang machen müssen, wenn sie weiter darüber zu sprechen wünschte. Aber genau darüber war sich die Fürstin nicht im Klaren. Was wollte sie? Das würde er sie fragen, und sie wusste keine Antwort darauf. Ein Seufzer entrang sich ihr, ehe sie es verhindern konnte.
»Seien Sie nicht so streng mit sich«, erklang es aus der Dunkelheit.
»Nicht streng, verwirrt und unsicher«, widersprach Therese.
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