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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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die Nebel zu beschwören und seinen Körper zu einer anderen Form zu wandeln.
    Die Fledermaus stürzte sich in die Tiefe. Sie war verletzt und schwach, das ließ sich nicht mit dem anderen Körper zurücklassen. Jeder Flügelschlag raubte ihm fast das Bewusstsein.
    Wohin nur? Wohin? Weit würde er nicht kommen. Seine Zeit war beinahe abgelaufen, seine Kraft fast versiegt. Wo nur wäre er für einen ganzen, langen Tag in Sicherheit? Er flatterte knapp über dem Straßenpflaster die Gasse entlang. Taumelnd, orientierungslos.
    Der Schlag einer Glocke dröhnte in seinem Kopf. Die Michaelerkirche! Die Gruft!
    Die Fledermaus schwenkte nach rechts und umrundete die Kirche, bis sie erspähte, was sie so dringend suchte. Dort war die Öffnung der Sargrutsche, die hinunter in die kühle, dunkle, menschenvergessene Michaelergruft führte.
    Die Fledermaus ließ sich hineinfallen. Noch während sie denSchacht hinunterrutschte, begann sie mit der Rückverwandlung.
    Der blutige Körper des Vampirs krachte zwischen den Särgen auf den Boden. Unter Stöhnen stemmte sich András auf Knie und Ellenbogen hoch. Es blieben ihm nur noch zwei Minuten, ehe die Sonne aufging. Er robbte zu dem zweiten Sarg. Bronziertes Holz, um ihm das Antlitz eines edlen Metallsargs zu verleihen. András drückte den Deckel hoch.
    Verzeih, dass ich dich von deinem Lager vertreibe, sagte er in Gedanken, als er die Mumie des Hofdichters Metastasio über die Kante rollte und auf den Boden fallen ließ. Du bekommst es schon bald zurück .
    András zog sich mit letzter Kraft in den Sarg und ließ den Deckel über sich zuschlagen.
    »Er ist verschwunden!«
    »Was soll das heißen, er ist verschwunden? Er war tödlich angeschossen. Er konnte nach diesem Sturz keinen Schritt weit kommen!«
    Kommissär Hofbauer folgte Schobermeier zur Straße hinunter und sah zu dem offenen Fenster hinauf, aus dem sich der Graf aus Siebenbürgen bei seinem Fluchtversuch gestürzt hatte.
    Fluchtversuch? Kommissär Hofbauer sah sich irritiert um. Das war schlichtweg unmöglich, und dennoch sprachen die Tatsachen dafür, dass Graf Báthory die Flucht geglückt war.
    »Und Sie haben bestimmt gesehen, dass er sich aus diesem Fenster gestürzt hat?«, wiederholte Schobermeier.
    »Ja, mit meinen eigenen Augen! Er riss das Fenster auf, schwang sich auf den Sims und war verschwunden.«
    »Es sieht aber nicht so aus, als sei er hier unten angekommen«, widersprach Schobermeier. »Oder können Sie auch nur den kleinsten Blutfleck sehen? Dabei hat er geblutet wie ein abgestochenes Schwein. Unsere Kugeln haben ihn satt getroffen«, fügte er mit Stolz hinzu.
    Hofbauer nickte abwesend und schritt mit gesenktem Kopf unterhalb des offenen Fensters auf und ab.
    »Er ist durch dieses Fenster aus dem Zimmer entkommen, aber nicht hier unten auf das Pflaster geschlagen. Wie ist das möglich? Er kann sich ja nicht in Luft aufgelöst haben.«
    »Aufs Dach geklettert?«, schlug Schobermeier halbherzig vor.
    »Nicht bei dieser glatten Fassade.« Sie legten die Köpfe in den Nacken. »Nein, unmöglich. Außerdem müsste die Wand dann blutverschmiert sein. Nein, er konnte nur nach unten. Und wenn er offensichtlich nicht auf dem Boden aufkam, dann muss er woanders gelandet sein.«
    »Ach ja, und wo?«, begehrte Schobermeier zu wissen.
    »Auf einem Karren?«, schlug der Kommissär vor.
    »Ein Komplize?« Schobermeier stöhnte. »Und der hat sich mit ihm aus dem Staub gemacht! Oh verflucht, ich könnte mir selbst in den Hintern beißen. Wie konnten wir diese Bestie wieder entkommen lassen?«
    Kommissär Hofbauer fühlte sich ähnlich frustriert, hütete sich aber, diesen Gefühlen vor seinem Untergebenen freien Lauf zu lassen.
    Wie hatte er den Gefangenen allein dort liegen lassen können? Wie konnte es passieren, dass er ihn so unterschätzte?
    Er war von zwei Geschossen tödlich verwundet worden, und seine Hände waren aneinandergekettet gewesen! Wie konnte eine Flucht in solch einem Zustand menschenmöglich sein?
    Der Kommissär konnte ja nicht einmal begreifen, wie es dem Grafen gelungen war, die Handfesseln abzustreifen, die er – noch verschlossen – auf dem Fenstersims gefunden hatte. Nein, wenn einer seiner Kollegen sich erdreistet hätte, ihm solch eine Geschichte aufzutischen, hätte er ihn schlichtweg der Lüge bezichtigt!
    »Kommen Sie, Schobermeier, gehen wir zurück und lassen den Grafen zur Fahndung ausschreiben, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass er mit diesen Verletzungen noch länger

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