Das Herz der Nacht
sind so fleißig, dass mir im Haushalt gar nichts mehr zu tun bleibt. Ich habe mir nur Sorgen gemacht, dass sie vielleicht über uns reden.«
»Was sollten sie reden? Sie verlassen das Haus vor dem Dunkelwerden und bekommen András nie zu Gesicht.«
»Peter«, korrigierte Karoline. »Er heißt jetzt Peter von Borgo, und ich bin seine verwitwete Schwester mit ihrer Tochter.«
»Mama, ich weiß! Für mich wird er aber immer András bleiben!«
»András, der Bewunderer deiner Anmut und deiner Schönheit! Ihr Diener, mein Fräulein.«
»Da bist du ja!«, rief sie entzückt und stürmte ganz undamenhaft auf ihn zu. Seine Arme umfingen sie, und sie drückte ihr Gesicht mit einem Seufzer an seine Brust. András’ Blick traf den der Mutter über ihrem von unzähligen dunklen Locken gezierten Haupt.
»Du musst dich nicht sorgen. Das ist nur eine harmlose, kindliche Schwärmerei. Sie ist gerade zehn Jahre alt geworden. Bald ist es so weit, und sie wird den ersten jungen Männern den Kopf verdrehen.«
»Ich weiß nicht, was mich mehr beunruhigt«, antwortete Karoline mit einem unsicheren Lachen.
András schob Sophie von sich und hob ihr Kinn. »Nun, junge Dame, wie ich sehe, hat der Tag dich noch schöner gemacht.«
»Das liegt an dem neuen Reitkleid, das du mir hast schneidern lassen«, rief sie und drehte sich kokett um ihre Achse. »Ist es schön geworden? Es fühlt sich zumindest so an.«
»Ja, es steht dir ganz wunderbar zu Gesicht, und das Smaragdgrün harmoniert mit deinen dunklen Locken.«
»Und es wird wundervoll zu unseren Rappen passen, nicht wahr?«
András stimmte ihr zu. »Aber ist das Kleid nicht ein wenig zu lang? Du trittst auf Saum und Schleppe, wenn du nicht achtgibst.«
»Das muss so sein«, belehrte ihn das Mädchen. »Wenn man im Sattel sitzt, dann fällt es schön in Falten über den Pferderücken.«
»Aha, es gibt immer wieder viel zu lernen.« Er wandte sich an ihre Mutter.
»Nun, Karoline, welch gesellschaftlich wichtiges Ereignis steht heute auf dem Programm, das wir unter keinen Umständen versäumen dürfen?«
»András! Du hast versprochen, mit mir auszureiten! Was glaubst du wohl, warum ich das neue Reitkleid trage?« Sophie hielt mitten in ihrem Vorwurf inne und seufzte. »Du nimmst mich wieder einmal auf den Arm.« Sie tastete nach seinen Hosen bis hinab zu den Reitstiefeln. »Du hast es nicht vergessen.«
»Nein, Prinzessin, wie könnte ich? Unsere treuen Rappen stehen gesattelt hinter dem Haus, bereit, uns auf ihrem Rücken durch die Nacht zu tragen, bis der Wind uns die Wangen rötet.«
Sophie klatschte begeistert in die Hände. »Dann lass uns gehen. Und versprich mir, dass wir die ganze Wiese auf dem Hügel entlanggaloppieren werden! Ich habe einen sicheren Sitz und werde nicht müde.«
»Aber natürlich! Wir werden weder uns noch die Pferde schonen«, erwiderte András in gespielt düsterem Ton. Sophie lachte und griff nach seiner Hand.
»Kommt bitte nicht zu spät zurück«, bat Karoline. »Sophie schläft in diesen kurzen Frühlingsnächten zu wenig.«
»Ich weiß.«
»Uns bleibt auch stets so wenig Zeit«, protestierte Sophie. »Mir ist der Winter lieber! Da ist es so viel länger dunkel.«
András kniff sie in die Wange. »Du bist, glaube ich, das einzige junge Mädchen dieser Welt, das einen lauen Maienabend gegen die Kälte und Finsternis des Winters eintauschen würde.«
»Ich bin vielleicht auch das einzige Mädchen, das einen Vampir zum Freund hat«, gab Sophie zurück.
Sie ritten durch die Stadt und verließen sie durch das Tor am Hamburger Berg. Im Gegensatz zu Wien gab es hier noch eine nächtliche Torsperre, und man konnte das Millerntor zu dieser Stunde nur gegen Bezahlen von vier Schillingen pro Person passieren. Während an den anderen Hamburger Stadttoren nach Einbruch der Dunkelheit kaum mehr ein Passant in die Stadt eingelassen wurde oder aus ihr herauswollte, herrschte am Millerntor bis spät in die Nacht munteres Treiben. Der Hamburger Berg, dessen Bewohner nach den Aufständen vor einigen Jahren die – wenn auch eingeschränkten – Hamburger Bürgerrechte bekommen hatten, lockte mit seinen Vergnügungsvierteln die Besucher aus der Stadt und dem nahen Hafen an. Neben Theatern gab es am Spielbudenplatz Attraktionen wie den »Optisch Belwider«, das »Joachimsthal« mit einem großen Tanzsaal und einem Garten mit märchenhaften Grotten, Teichen, Statuen und allerlei Getier in Käfigen. Viele Matrosen zogen das Bier in der neuen »Dröge« vor,
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