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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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die sich neben der Reeperbahn erhob, wo die Reepschläger tagsüber ihre Seile und Taue wanden. Während die »Dröge« durchaus auch von Bürgern auf ein Bier oder Kaffee aufgesucht wurde, gehörte der »Griechische Hof« gegenüber dem »Joachimsthal« bereits der Art von Lokalen an, die ein standesbewusster Herr nicht betreten würde. Hier waren die einfachen Leute unter sich. Dahinter wurde nicht nur das Licht trüber, die Wege schlechter und der Gestank der Abwasserkanäle stärker. Dort reihten sich Matrosenherbergen, Spelunken und Bordelle aneinander, die dem neuen Stadtteil – der nach seiner nun schon zum dritten Mal abgebrannten und wieder aufgebauten Kirche offiziell St. Pauli hieß – den Spitznamen Sankt Liederlich eintrugen.
    András lenkte ihre Pferde natürlich nicht durch diese trüben Gassen sündiger Lust, obwohl er, wenn er nicht gerade in Begleitung des Mädchens unterwegs war, einem Bummel entlang der Reeperbahn nicht abgeneigt war.
    Sie ritten durch Altona hinunter zur Elbchaussee, an der sich die prächtigen Villen und Parkschlösser der Hamburger Gesellschaft bis hinaus nach Blankenese reihten. Im Gegensatz zu Wien war alter Adel in der Stadt nur spärlich vertreten. Wenn ein Baron oder Freiherr auf einer der Abendgesellschaften auftauchte, dann war sein Titel meist neueren Datums. Hier gaben Reeder und Kaufleute, Bankiers und Fabrikanten den Ton an und stellten die Vertreter des Senats. Geld hatten sie genug – mehr noch als der alteingesessene Adel in Wien –, und sie verstanden es durchaus, ein bequemes Leben in Wohlstand zu führen, sich mit Künstlern und ihren Werken zu umgeben und sich der Wissenschaft gegenüber interessiert und offen zu zeigen, ohne in die Dekadenz des Überflusses zu verfallen, der der Wiener so gern erlag. Die Hamburger hatten sich ihr Vermögen erarbeitet, nicht über Generationen hinweg das geerbt, was die Feudalherrschaft des Mittelalters auf riesigen Ländereien auf dem Rücken von Leibeigenen erwirtschaftet hatte.
    »Wo sind wir gerade?«, wollte Sophie wissen.
    »Wir passieren das Donnerschloss mit seiner weiten Parkanlage, das dem Fabrikanten und Direktor des Königlichen Wechsel- und Bankkontors gehört. Graf Adolf von Schauenburg hat bereits im Mittelalter dieses Tal zwischen den Bergen an der Elbe mit seiner Wassermühle an zwei Hamburger Bürger vermacht. Die Mühle, um deren Recht früher mehr als einmal trefflich gekämpft und gestritten wurde, steht noch, allerdings wurde sie während der Jahrhunderte immer mal wieder erneuert. Und nun kommen wir zu dem Anwesen, das Konferenzrat Lawaetz erworben hat und das nun nach seinem Tod an seine Witwe und die Kinder übergegangen ist.«
    So erzählte András über die Häuser und Gärten, die sie in flottem Trab passierten. Endlich wurden die Anwesen spärlicher, und ein langer, grasiger Höhenrücken streckte sich vor ihnen aus, auf dem lediglich bei Tag einige Schafe grasten.
    »Wir sind da. Kannst du die ungezähmte Natur riechen?«
    Sophie zügelte den Rappen und reckte ihre Nase in die Luft. »Oh ja, das frische Gras und die Schafe und das Wasser der nahen Elbe, die hier unten vorbeifließt«, antwortete Sophie ernst.
    »Wollen wir unseren Galopp wagen?«
    »Aber ja!«, jauchzte das Kind und schnalzte mit der Zunge. Der Rappe sprang mit einem riesigen Satz an und jagte über den Höhenrücken davon. András blieb mit seinem Pferd an ihrer Seite. Er fürchtete nicht um sie. Die Rappen, die er von Wien her mitgebracht hatte, reagierten auf jeden Laut von ihm, und er vertraute dem Tier, dass es auf seine Reiterin achten würde. Dabei hatte Sophie nicht übertrieben, als sie behauptete, einen sicheren Sitz im Sattel zu haben.
    »Es ist so herrlich!«, jauchzte das Mädchen, dem der Wind Tränen auf die Wangen trieb. Endlich fielen sie wieder in Trab und ließen die Pferde dann im Schritt ein wenig ruhen. Schweigend ritten sie nebeneinander her.
    »Es fühlt sich seltsam an«, sagte Sophie nach einer Weile.
    »Was denn?«
    »Wenn wir so miteinander reiten oder andere Dinge tun, wie vergangene Woche mit dem Schiff auf der Elbe draußen fahren, dann fühlt es sich an, als wäre mir mein Körper zu eng. Als dränge irgendetwas nach draußen, das mich lachen und gleichzeitig weinen lässt. Hier drin fängt es an zu flattern, und ich kann Musik hören. Und dann denke ich, ich will nie wieder anhalten. Ich will bis ans Ende der Welt galoppieren. An deiner Seite, immer weiter. Was ist das nur? In Wien hatte ich

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