Das Herz der Nacht
Rheinland ergattert und mit nach Wien gebracht hatte. Geschmuggelt, musste man eher sagen, denn die Zensur, sprich Polizeiminister Graf Sedlnitzky, hatte seine politischen Machwerke – wie er es nannte – allesamt verboten.
»Wissen Sie, wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt?«, raunte Therese András zu. »Kein Geringerer als Graf Alexander von Auersperg! Seine Verse sind ein wenig einfach gebaut, doch die politische Sprengkraft nicht zu verleugnen. In Wien sucht er natürlich vergeblich als Dichter sein Glück. Ich glaube nun, da Sedlnitzky ihn auf dem Kieker hat, würde er ihm selbst Kochrezepte zensieren!«
»Ach, die schreibt der Graf auch?«
»Nein!« Therese sah ihn empört an. András lachte.
»Nun, dann wollen wir hoffen, dass sich hier unter den Gästen kein Naderer befindet, der diese Impertinenz augenblicklich meldet.«
»Ein Informant der Geheimpolizei, hier?« Die Fürstin sah sich ein wenig unsicher um. »Möglich wäre es schon.«
»Nicht nur möglich, sehr wahrscheinlich«, korrigierte András. »Sagt man nicht, wenn sich drei Wiener treffen, ist mindestens einer von ihnen ein Naderer? Ich wage sogar zu behaupten, dass mehr als die Hälfte aller Dienstboten auf Sedlnitzkys Gehaltsliste stehen. Ein schönes Zubrot, die Herrschaft zu bespitzeln, und viel einfacher als Stiefel putzen oder heißes Wasser schleppen.«
Die Fürstin hob erstaunt die Brauen. »Sie scheinen sich ja schon ganz gut in Wien auszukennen!«
Graf Báthory hob die Schultern. »Da hat sich nicht viel geändert, seit Metternich den Rhein hinter sich gelassen hat, um an der Donau in Wien Europa zu verändern – oder sollen wir sagen, in seine alten Schuhe zurückzustecken?«
Therese nickte nachdenklich.
Ein Raunen ging durch die Reihen der Gäste, als zu späterer Stunde der berühmte Mime und Possendichter Johann Nestroy vom Theater an der Wien sich die Ehre gab und auch noch die bezaubernde Tänzerin Fanny Elßler mitbrachte. Die jungen Herren lagen ihr zu Füßen. Sie war der Stern am Wiener Balletthimmel.
»Ich sage nicht, dass sie diesen Platz nicht mit wundervoller Grazie ausfüllt«, sagte die Fürstin zu Graf Báthory. »Sie hat Talent und arbeitet hart. Dennoch wage ich zu behaupten, ihre Karriere wäre nicht so steil verlaufen, hätte nicht Friedrich Gentz, der Sekretär Metternichs, ein Auge auf sie geworfen. Sie war gerade einmal neunzehn Jahre alt und er fünfundsechzig, doch man sagt, sie sei ihm treu bis zu seinem Tod geblieben. Geschadet hat ihr diese Beziehung jedenfalls nicht.«
»Sie sind eine unerschöpfliche Quelle des Wissens, Durchlaucht.«
Therese versuchte in seiner Miene zu lesen, doch sie konnte nichts entdecken, das ihr einen Hinweis darauf geben konnte, wie er seine Worte meinte.
»Langweile ich Sie mit meinen Klatschgeschichten?«, fragte sie ein wenig verunsichert.
»Aber nein, Fürstin. Wenn man eine Weile fern von Wien war, hilft einem nichts schneller, sich wieder mit der Gesellschaft vertraut zu machen, als ihre Klatschgeschichten und Skandale. Berichten Sie mir alles, was Ihnen in den Sinn kommt. Verraten Sie mir beispielsweise, wer die Dame mit der seltsamen Kopfbedeckung ist, die gerade von unserer Gastgeberin so überschwänglich begrüßt wird, als sei sie der verlorene Sohn, der unerwartet aus der Fremde heimgekehrt ist.«
Dass er mit dieser Bemerkung den Nagel so ziemlich auf den Kopf getroffen hatte, erfuhren sie sogleich von Karoline Pichler selbst, die alle Anwesenden zur Ruhe rief, um ihnen ihren neuen Gast zu präsentieren.
»Darf ich denjenigen, die noch nicht die Ehre und das Vergnügen hatten, die Frau an meiner Seite kennenzulernen, meine Freundin Ida Pfeiffer vorstellen? Ich darf ohne Zweifel behaupten, dass sie uns Dichtern, die wir hier versammelt sind, allen etwas Großes voraushat: Sie schreibt nicht nur ganz wunderbar, sie ist auch die mutigste Frau von ganz Wien! Seht euch ihren seltsamen Kopfschmuck an, und beginnt zu ahnen, was es sie gekostet haben mag, diesen zu erlangen.« Die Pichler zeigte die Zähne, dennoch war ihre Hochachtung hinter dem gutmütigen Spott zu spüren.
»Also, wenn ihr demnächst das Reisetagebuch ›Reise einer Wienerin ins Heilige Land‹ unter irgendeinem dummen Pseudonym bei eurem Buchhändler liegen seht, dann kauft es euch, lest es durch und staunt. Und wenn ihr die interessanten Details wissen wollt, die immer ausgelassen werden, dann fragt unsere mutige Weltreisende Ida Pfeiffer, die erst vor einigen Wochen von ihrer Reise
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