Das Herz der Nacht
Nachtwind reisen. Kein Herz schlägt in ihrer Brust. Und sie existieren nur vom warmen Blut der Lebenden.«
Er sah sie bei den Worten so intensiv an, dass die alte Frau für einen Moment erstarrte, dann klatschte sie die Hände zusammen, warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend.
»Meine liebe Fürstin, diesen Mann sollten sie sich warmhalten, wenn ich das so sagen darf. Er ist ein seltenes Original. Sie müssen nur aufpassen, dass – sollte ihn der Blutdurst überkommen – ihr Gatte in der Nähe ist. Nein, nicht um Sie zu beschützen. Ich bezweifle, dass der Fürst dazu überhaupt in der Lage wäre. Soll unser Karpatengraf lieber ihn aussaugen als Sie, nicht wahr?«
András verzog das Gesicht. »Frau Pichler, was denken Sie von mir? Ich bevorzuge Damen. Dann schon lieber Verzicht!«
Glucksend wischte sich Frau Pichler eine Träne aus den grauen Augen.
Draußen in der Eingangshalle erklangen Stimmen. Karoline Pichler reckte sich in ihrem Sessel auf. »Lasst mich sehen, wer gekommen ist. Ich brauche noch ein paar geistreiche Menschen um mich, mit denen ich mich zanken kann. Wer ist das?«
Vier Frauen kamen in den Salon, drei trugen Geigenkästen unter den Armen. Ein Diener folgte mit einem Cello. Sie waren vielleicht zwischen dreißig und vierzig, strahlten aber den Schwung junger Mädchen aus. Sie begrüßten die Gastgeberin überschwänglich.
»Ah, meine Virtuosen sind eingetroffen. Nun, dann muss die Literatur noch ein wenig warten. Machen wir Musik!«
Die Gäste scharten sich um die vier Frauen, die plaudernd und scherzend ihre Instrumente auspackten.
»Das sind die berühmten Fröhlich-Schwestern«, klärte Therese ihren Begleiter auf. »Netti, Betti, Kathi und Pepi – eigentlich Anna, Josephine, Katharina und Barbara aus gut bürgerlichem Haus, genauer gesagt aus einer Döblinger Weinhandlung. Sie sind gut, Graf Báthory, Sie können sich entspannen. Sehen Sie, selbst Doktor Sonnleithner, ja der grauhaarige Herr dort drüben in dem grünen Sessel, schaut erwartungsvoll drein. Er ist der Gründer der Gesellschaft der Musikfreunde, und er ist der Erste, der flüchtet, wenn sich ein Dilettant an einem Instrument vergreift oder gar zu singen beginnt, was leider in den Gesellschaften des Bürgertums und des Adels immer mehr überhandnimmt.«
Die vier Schwestern stimmten ihre Streichinstrumente und warfen dann einen bedeutsamen Blick in die Runde. Es wurden noch ein paar Stühle zurechtgerückt, dann verstummten die Gäste des pichlerschen Salons und wandten ihre Aufmerksamkeit dem Damenquartett zu, das in seinen farbenfrohen Kleidern aus bedrucktem Chintz und Seidentaft ein liebliches Bild bot. Und sie spielten auch ansehnlich, so dass es eine Lust war, ihrem Spiel zu lauschen, gab Graf Báthory seiner Begleiterin gegenüber gerne zu.
Mitten in die Darbietung platzte ein Herr, der sich rücksichtslos durch die Zuhörer drängte und sich neben eine beleibte Dame auf eine der vorderen Sitzbänke quetschte. Sein Blick galt allein der mit ihren dunklen Ringellöckchen hübschesten der vier Schwestern. Der Mann ging sicher bereits auf die fünfzig zu, und sein Haar begann sich in Form von Geheimratsecken zu lichten.
András runzelte die Stirn. »Mir ist, als müsste ich diesen Herrn kennen.«
»Das ist unser Dichter Franz Grillparzer. Er ist mit Kathi verlobt, seit – lassen Sie mich rechnen – sechzehn Jahren, oder sind es schon mehr? Ich habe es vergessen. Er himmelt sie treu an, widmet ihr Verse, kann sich aber nicht durchringen, sie zum Altar zu führen.«
»Und die Dame macht dieses zermürbende Spiel mit?«
»Mehr noch, ich habe gehört, Grillparzer wird demnächst zu den Schwestern in ihre Wohnung in der Spiegelgasse ziehen.«
»Zu allen vieren?« András hob in einer Mischung aus Erstaunen und Belustigung die Brauen.
»Ja, zu allen vieren. Für ihn wird es überaus praktisch. Vier Frauen, die ihn verehren und ihn umsorgen. Nur um Kathi tut es mir leid. Was kann er dann noch für einen Grund haben, sie um ihre Hand zu bitten?«
»Vielleicht weil ihm vier Frauen dann doch zu viel werden?«
Therese knuffte ihm in die Seite. »Graf Báthory, das war nicht sehr charmant. Ich sage Ihnen, er wird mit den vier Schwestern alt, ohne sich je zu entscheiden!«
Nach dem Quartett, das großzügig Applaus bekam, las die junge Schauspielerin Enghaus-Hebbel Verse im Wechsel mit Wenzel Scholz, dem altverdienten Komödianten. Auch ein Traktat von Anastasius Grün wurde verlesen, das jemand im
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