Das Herz der Nacht
obgleich der Tritt sehr schmal und der Abstand zum Straßenpflaster nicht unerheblich war. Doch der Graf sprang behände aus der Kutsche und half dann seiner Begleiterin.
»Du kannst die Kutsche zurückbringen. Ich schicke dir eine Botschaft, wenn ich dich brauche.«
Der Diener verbeugte sich noch einmal stumm, kletterte auf den Kutschbock und fuhr davon. Während der Graf Therese in die erleuchtete Halle führte, fragte sie sich, warum er seinen Diener nicht mit denen der anderen Gäste, die eigene Kutschen oder einen unnummerierten Fiaker besaßen, warten ließ. Wie wollte er ihm eine Nachricht zukommen lassen? Einen Botenjungen schicken?
Therese vermutete, dass ihre Gastgeberin nicht über so viel Personal verfügte, dass sie an diesem Abend gern jemanden entbehren mochte. Und sie bezweifelte, dass sich um die Zeit, da sie den Heimweg anzutreten wünschte, noch irgendwelche Burschen in den Gassen herumtrieben, die darauf hofften, sich ein paar Münzen für kleine Dienste zu verdienen.
»Sie zerbrechen sich zu sehr den Kopf, Fürstin. Wollen Sie mir nicht lieber all die interessanten Leute vorstellen, die sich heute Abend bei Frau Pichler eingefunden haben?«
Therese bemühte sich um ein unbeschwertes Lächeln. Sie musste sich in Acht nehmen. Er war ein scharfer Beobachter. Fast könnte man meinen, er sei in der Lage, Gedanken zu lesen, wenn dies nicht völlig unmöglich wäre.
Amüsiert lächelnd führte Graf Báthory die Fürstin in den Salon, wo die Gastgeberin in einem mächtigen Sessel von verblichenem Samt thronte. Zwei junge Stutzer kauerten auf Fußschemeln zu ihren Füßen und hingen gebannt an ihren Lippen. Therese konnte nicht verstehen, worüber sie sprach, doch die jungen Herren lachten verzückt auf und klatschten begeistert in die Hände.
Als der Blick der Gastgeberin auf die Fürstin und ihren Begleiter fiel, brach sie ab und winkte die beiden mit ihren von Arthritis verkrümmten Fingern zu sich. Sie hob ihren Lorgnon, der an einer Goldkette baumelte, und musterte ihre neuen Gäste ungeniert. Trotz ihrer siebzig Jahre saß die gefeierte Dichterin mit durchgedrücktem Rücken da. Ihre Miene war streng, die Augen von lebhaftem Interesse. Sie trug ein steifes Kleid aus Seidentaft mit den keulenartig gebauschten Ärmeln, wie sie in der vergangenen Saison noch Mode gewesen waren. Auf ihrem nachlässig aufgedrehten grauen Haar erhob sich eine gestärkte Spitzenhaube.
»Ah, ein Mitglied des Hofadels gibt uns die Ehre, in die bescheidenen Niederungen der Künste herabzusteigen. Liebe Fürstin, dann werde ich es heute Abend ausnahmsweise unterlassen, über den Snobismus der Hocharistokratie zu schimpfen.«
Therese reichte der Schriftstellerin die Hand. »Halten Sie das so lange aus?«
»Wir werden sehen«, gab Karoline Pichler mit einem spöttischen Lächeln zurück.
»Tun Sie sich meinetwegen keinen Zwang an, meine Liebe. Darf ich Ihnen meinen Begleiter vorstellen?«
»Ich bitte darum!«, rief die Gastgeberin. »Wenn Sie schon mal mit einem Mann auftauchen, der diese Bezeichnung noch verdient. Ich sage lieber nicht, mit welchen Worten ich die traurigen Überbleibsel der Schöpfung bedenke, die sich nur ihren modischen Narreteien hingeben.« Sie bedachte die beiden Stutzer, die ein wenig zurückgetreten waren, mit einem strengen Blick. »Jedenfalls muss ich Ihnen gratulieren. Er macht etwas her und schafft es sogar, zusammen mit einer Bohnenstange ein harmonisches Bild abzugeben. Sobald er den Mund aufgemacht hat, kann ich Ihnen sagen, ob auch sein Geist mehr als einen Gedanken wert ist. Was schon eine Sensation wäre. Schönheit und Geist in einem einzigen Mann vereint?«
Therese musste ein Kichern unterdrücken. Sie ergötzte sich immer wieder an der erfrischend schrulligen Art der alternden Dichterin, die immer direkt sagte, was ihr in den Sinn kam. Ihr Gatte und die meisten anderen Mitglieder der Gesellschaft hätten sich vor den Kopf gestoßen gefühlt.
»Ich darf Ihnen András Petru Báthory, Graf von Brasov, vorstellen.«
»Wo ist denn das?«
»Sie nennen es Kronstadt, in Siebenbürgen«, sagte András höflich und reichte ihr die Hand.
»Na, heißblütig kann man ihren Begleiter nicht gerade nennen, meine liebe Fürstin, obwohl die Magyaren dafür doch berühmt sein sollen!«
»Das sind sie im Allgemeinen, das kann ich Ihnen versichern, Frau Pichler. Doch die Karpaten sind auch für ihre Wesen der Nacht berühmt. Kalte, gnadenlose Jäger, die auf den Schwingen der Finsternis mit dem
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