Das Herz der Nacht
Namen, dann wanderte sein Blick zu den Fremden, die in dieser Nacht im Haus gewesen waren. Zu fast jedem hatte Schobermeier eine Bemerkung gekritzelt. Meist den Grund des Besuchs, wo der Gast wohnte, wann er gekommen und wann er wieder aufgebrochen war. Nichts, was dem Kommissär unangenehm aufstieß. Bis er wieder auf die Wallbergs stieß. Und auf einen anderen Namen, den er kürzlich schon einmal gelesen hatte. Ein Ungar oder Böhme, dem Namen nach zu urteilen. Nun juckte es ihn den ganzen Rücken herunter. Er wusste, wo ihm dieser Name in Schobermeiers krakeliger Schrift schon einmal ins Auge gesprungen war: bei der Gästeliste zum Salon von Frau Pichler!
Hofbauer legte bedächtig die beiden Listen nebeneinander. Er war der einzige Fremde, der noch nicht lange in der Stadt weilte. – Abgesehen von Ida Pfeiffer, die eben erst von ihrer Reise zurückgekommen war, aber sie konnte man ja nicht als Fremde bezeichnen. Schließlich hatte sie bis zum Tod ihres Mannes hier gelebt. Dem Namen Báthory dagegen schien etwas Unheilvolles anzuhaften. So ganz konnte sich der Kommissär das nicht erklären, außer vielleicht, dass er grundsätzlich gegen alles, was fremd war und aus dem Osten des Reiches kam, ein natürliches Misstrauen hegte. Das Bild des ermordeten Hausmädchens stand ihm wieder deutlich vor Augen, und zum ersten Mal überkam ihn das Gefühl, die Mutter des verschwundenen Mädchens habe mit ihrer düsteren Ahnung nicht übertrieben. Obwohl ihm keine neuen Fakten vorlagen und bislang keine Leiche gefunden worden war, die auf die Beschreibung des Mädchens passte, hatte er nicht mehr das Gefühl, in einem Vermisstenfall zu ermitteln, sondern wegen eines weiteren Mordes!
Schobermeier steckte den Kopf durch die Tür. »Schon so früh bei der Arbeit?«
»Nicht jeder kann es sich leisten, den halben Vormittag im Kaffeehaus zu sitzen«, grummelte der Vorgesetzte.
»Das ist wahr.« Der Kriminalbeamte nickte. Bei ihm musste man mit Kritik schon deutlicher werden.
»Ich habe gestern noch mit dem Ehepaar gesprochen, das im ersten Stock links zu Besuch war. Nichts.« Er hob die Schultern, während er ein beschriebenes Blatt auf den Schreibtisch legte und sich dann auf einen Stuhl fallen ließ. »Und was steht nun an?«
»Nun nehmen wir diesen András Petru Báthory ein wenig unter die Lupe«, sagte der Polizeikommissär grimmig. »Oder glauben Sie, es ist ein Zufall, dass er auf beiden unserer Listen erscheint?«
»Ich weiß, dass Sie nichts von Zufällen halten«, gab Schobermeier zur Antwort und erhob sich umständlich von seinem Stuhl. Sein Vorgesetzter folgte ihm hinaus.
»Gehen wir und fühlen ihm ein wenig auf den Zahn. Was mich vor allem ganz brennend interessiert, ist, wo er in der Nacht gewesen ist, als die Kellnerin von Cortis Kaffeehaus im Volksgarten ermordet wurde, und was er während der Tatzeit im Fall der Schneidertochter getan hat!«
Fürstin Therese Kinsky saß in ihrem Salon und sah auf die Karte in ihren Händen herab. In fein geschwungenen Buchstaben stand ihr Name darauf, dem eine höfliche Einladung folgte, ihm die Ehre zuteil werden zu lassen, die Ausbildung ihrer vielversprechenden Füchse zu einem harmonischen Viererzug in seiner Gesellschaft fortzusetzen. Graf András Petru Báthory würde sich nach Sonnenuntergang bei ihr einfinden und versprach eine mondhelle Nacht, die zwar kalt, aber ansonsten ideal für eine Übungsstunde ohne neugierige Augen und klatschsüchtige Zungen sein werde.
Es war die Nachricht gewesen, die sie noch vor dem Frühstück in Hochstimmung versetzt hatte. Der Graf musste das Billet noch vor Anbruch des Tages abgegeben haben! Doch nun war die Vorfreude einer unerklärlich tiefen Verzweiflung gewichen. Therese verlangte gerade nach nichts mehr als nach seiner Gesellschaft, obwohl sie ihm doch zürnte, weil er drei ihrer Einladungen abgeschlagen und sich in diesem Billet nicht einmal dafür entschuldigt hatte! Eigentlich hätte sie es begrüßen müssen, dass nun sie es war, die eine Abfuhr erteilen musste, schon allein, um ihm zu zeigen, dass sie gesellschaftlich über ihm stand und er nicht so mit ihr umspringen durfte. Doch der Gedanke hinterließ einen schalen Geschmack in ihrem Mund. Sie wollte den Grafen sehen, jetzt! Mit ihm plaudern und vor allem mit ihm durch den Prater fahren. Was musste das für ein herrliches Gefühl sein, wenn er ihre Füchse in vollkommenem Gleichklang die Allee hinuntergaloppieren ließ. Welch eine Aussicht, ihn den ganzen Abend
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