Das Herz der Nacht
den Kopf.
»Ja was? Ist er nicht zu Hause? Nun mach endlich den Mund auf!«, rief sie zornig. Wieder nur ein Kopfschütteln, dann deutete er auf seinen Mund und schüttelte erneut den Kopf. Dieses Mal lag ein Ausdruck von Bedauern in seinem Blick, der die Fürstin innehalten ließ. Was sollte das bedeuten? Dass er nicht sprechen konnte? Ihre vorsichtige Frage beantwortete er mit einem Kopfnicken.
Na großartig! Sie stand wie eine Bittstellerin vor dem Palais des Grafen, und ein riesenhafter stummer Diener ließ sie nicht eintreten.
»Kannst du jemanden holen, der sprechen kann und dem Grafen eine Nachricht übermittelt?« Wieder das entnervende Kopfschütteln.
»Wann kommt der Graf denn zurück?«
Er machte ein paar Zeichen, mit denen sie nichts anzufangen wusste. Therese seufzte. Ihr war heute kein Glück beschieden. Was sollte sie nun tun? Sie musste ihn zumindest davon in Kenntnis setzen, dass sie heute Abend nicht mit ihm ausfahren konnte.
»Würdest du mich wenigstens kurz eintreten lassen, damit ich dem Grafen eine Nachricht schreibe?« Ihre Stimme klang spöttisch, doch für solch feine Töne war der Diener nicht zu haben. Er überlegte allen Ernstes, ob er das zulassen konnte, und trat dann endlich zur Seite, um sie einzulassen, wenn auch sein Gesichtsausdruck verriet, wie sehr ihm das gegen den Strich ging. Die Fürstin konnte sich nur wundern, dass der Graf sich mit solch einem Bediensteten abgab, der noch dazu aussah wie ein Zigeuner aus den tiefsten Wäldern des Reiches.
Neugierig sah sich Therese um, als der Diener sie unter dem stuckverzierten Bogen hindurch, der von Marmorsäulen getragen wurde, ins Treppenhaus führte. Sie stieg hinter ihm die Stufen empor bis ins mezzaninartige erste Geschoss, dessen kleine Fenster von außen schon zeigten, dass dieses Stockwerk wesentlich niedriger war als die Belletage mit ihren Repräsentationssälen. Hier hatte der Erbauer Johann Fries die privaten Wohnräume der Familie eingerichtet. Dieser Bereich sollte warm sein und wohnlich. Ein ganz neuer Gedanke beim Bau eines Palais. Für Gäste und Feierlichkeiten jeder Art vom kleinen Soupe bis zum Hauskonzert oder Ball war die Belletage da, und hier war nicht gespart worden, um die Wichtigkeit, den Reichtum und den guten Geschmack des Bauherrn zu demonstrieren!
Der Diener zögerte im ersten Stock, führte die Fürstin dann aber in die Belletage und ließ sie ins Entree. Er deutete auf ein zierliches Tischchen unter einem mächtigen goldgerahmten Spiegel, auf dem weiße Karten, Tinte und Feder bereitstanden. Zwei Türen führten von dem kleinen Empfangszimmer ab, durch die sie einen Blick in einen herrlichen Saal mit Marmorboden, gewölbter Decke und einen mächtigen Lüster werfen konnte. Die andere Tür wies in einen Salon mit kunstvollem Parkettboden, stoffbespannten Wänden und einer vergoldeten Stuckdecke.
Der Diener blieb neben ihr stehen, wie um sicherzustellen, dass sie sich nicht unerlaubt in den anderen Räumen umsah. Was erdreistete er sich von ihr zu denken? Natürlich war sie neugierig, aber durchaus gut erzogen!
So blieb Therese nichts anderes übrig, als dem Grafen eine kurze Nachricht zu schreiben, dass sie seiner Einladung leider nicht folgen konnte, sich aber freuen würde, die Ausfahrt an einem anderen Tag nachzuholen. Mit tiefem Bedauern setzte sie ihre Unterschrift darunter und lehnte die Karte an eine chinesische Vase. Dann ließ sie sich von dem seltsamen Diener in die Halle hinunter begleiten und verließ das Palais.
»Der Graf ist nicht zu Hause«, beantwortete sie Johanns Blick.
»Fahren wir dann zurück?«, fragte er voller Hoffnung, doch die Fürstin schüttelte trotzig den Kopf.
»Jetzt habe ich mich schon auf die Fahrt eingestellt. Du wirst die Zügel führen, bis wir den Wurstelprater hinter uns haben.«
Johann nickte und ließ die Pferde anziehen, aber es kam ihr so vor, als beinhalteten seine gemurmelten Worte so etwas wie eine Bitte um göttlichen Beistand, sie heute ohne Unfall nach Hause zurückkehren zu lassen.
Therese verzichtete darauf nachzufragen. Sie war zu sehr damit beschäftigt, die Ungerechtigkeit des Schicksals zu beklagen.
9. Kapitel
Eine Soiree im Hause Windisch-Graetz
Der Wagen der Fürstin war gerade in Richtung Kärntnertor verschwunden, als erneut an die Tür des von Bankier Fries erbauten Palais geklopft wurde, den die Einführung des Maria-Theresia-Talers durch sein Bankhaus so unglaublich reich gemacht hatte. Zum Glück konnte er damals noch
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