Das Herz der Nacht
neben sich sitzen zu haben, während er ihre Zügelführung korrigierte und mit seiner angenehmen Stimme Ratschläge erteilte.
Ein wenig ärgerlich schüttelte Therese den Kopf, so als könne sie damit die seltsame Leidenschaft vertreiben, die sie wie eine Krankheit befallen zu haben schien. Der Abend ihrer ersten Begegnung und die ihr noch immer unbegreifliche Rettung stürmten wieder auf sie ein.
Und nun musste sie auf eine weitere Begegnung verzichten, weil ihr Gatte es so befahl! Tränen des Zorns traten ihr in die Augen, und sie konnte sich nicht durchringen, sich an ihren Sekretär zu setzen und die Absage zu formulieren. Eine Weile grübelte sie darüber nach, ob sie sich nicht mit dem Grafen treffen und anschließend zu der Einladung der Windisch-Graetz gehen könnte, obwohl ihr natürlich klar war, dass das unmöglich funktionieren konnte, wenn sie erst bei Einbruch der Dunkelheit in Richtung Prater aufbrachen.
Warum mussten sie eigentlich so lange mit ihrer Ausfahrt warten? Die Fürstin richtete sich kerzengerade in ihrem Sessel auf. Gut, sie wollte nicht beobachtet werden, doch wie viele Menschen würden an diesem Wintertag im Prater unterwegs sein? Sie erhob sich und trat zum Fenster. Der Himmel war von hellem Grau. Es war trocken und kühl. Ab und zu frischte der Wind ein wenig auf und spielte mit den farbigen Schals der Damen und ihren Federn auf den Hüten.
Natürlich! Warum nicht? Erleichterung und unbändige Freude durchliefen sie wie eine Welle. »Vesna!«, rief sie laut. Der Tonfall war so alarmierend, dass die Kammerfrau atemlos ins Zimmer gestürzt kam.
»Durchlaucht, was ist los?«
Therese war sich des abschätzenden Blickes wohl bewusst, den die Kammerfrau über sie gleiten ließ. Erst dann entspannte sich ihre Miene, und sie verbeugte sich vor ihrer Herrin. »Sie wünschen?«
Therese wusste diesen Blick wohl zu deuten. Es war ein blitzschnelles Prüfen, welchen Schaden die Auseinandersetzung mit dem Fürsten dieses Mal hinterlassen hatte, und dann die Erleichterung, keine Spuren auszumachen, weder Blut noch dunkle Flecken, zumindest nicht im Gesicht, wo es so schwierig war, sie zu verdecken.
Therese ärgerte sich ein wenig darüber, fühlte sich anderseits aber auch beschämt, so viel Verständnis in den Augen der Kammerfrau zu finden. Da war sie nun eine Fürstin, eine hochwohlgeborene Gräfin von Freudenthal, und sie blieb dennoch eine schwache Frau, der Willkür ihres Gatten ausgesetzt, wie jede beliebige Bürger- oder Bauersfrau. Wie konnte so etwas sein? Gehörte sie nicht zum hohen Adel, in dessen Händen sich die Macht in diesem Land vereinte? Anscheinend nur in den männlichen Händen. Ihre Macht beschränkte sich in den Anweisungen, die sie ihren Bediensteten geben konnte.
Vesna holte sie aus ihren Überlegungen. »Was kann ich für Sie tun?«
Therese eilte auf ihre Kammerfrau zu. »Ich brauche das neue Kutschierkleid, das rostrote, schnell, und den Mantel dazu. Ich werde die schwarze Fellkappe dazu tragen. Und schicke Lisbeth zu Johann in den Stall. Er soll mir das Phaeton fertig machen und die Füchse anspannen.«
Vesna war schon zu lange im Dienst eines Adelshauses, um sich ihre Überraschung anmerken zu lassen.
»Gern, Durchlaucht.«
Vesna gab die Botschaft an die Zofe weiter und brachte dann das gewünschte Kleid ins Ankleidezimmer, wo die Fürstin schon ungeduldig auf und ab ging. Vesna ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen, eine Eigenschaft, die eine gute Kammerfrau durchaus auszeichnete.
»Stehen Sie still! Wie soll ich denn sonst die winzigen Haken lösen?«, befahl sie der Fürstin, die sich mit einem Seufzer zur Ruhe zwang. Vesna hatte sie bereits von ihrem Tageskleid befreit, als die Zofe atemlos zurückkehrte und nach Vesnas Anweisungen die unverzichtbaren Utensilien wie Pelzkappe, Stola und Handschuhe auf dem Frisiertisch bereitlegte.
Vesna warf das hochgeschlossene Kleid mit dem weiten Rock geschickt über Thereses Kopf, ohne die Frisur vom Morgen zu zerstören. Flink schloss sie Bänder und Haken, bis es sich wie angegossen um den schlanken Oberkörper schmiegte. Das Rostrot stand der Fürstin gut zu Gesicht und gab ihren Wangen einen frischen Hauch. Die schwarzen Schnurverzierungen über der Brust und die Schulterklappen waren der ungarischen Husarenuniform nachempfunden und wiederholten sich auf dem mit schwarzem Pelz gefütterten Mantel von gleicher Farbe. Vesna steckte die blonden Locken noch ein wenig fester, so dass sie dem Fahrtwind
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