Das Herz der Nacht
Klavierhocker und strich mit ihren Kinderfingern über die Tasten. Nun erklangen Töne. Karoline erschauderte, als sie eine Passage aus Mozarts Requiem erkannte.
»Ich fürchte den Tod nicht, dennoch solltest du ihn nicht wieder in unser Haus einladen. Man muss nicht hellsehen können, um zu wissen, dass der Tod Tränen und Leid mit sich bringt.«
Mehr sagte Sophie nicht. Dafür spielte sie alle Stücke, die sie aus dem Gedächtnis konnte. Stücke von Totenmessen in der Michaelerkirche, die sie so oft mit Pater Antonius besuchte.
»Was bist du heute Morgen so aufgekratzt?«
Die Stimme des Fürsten Kinsky klang unwirsch. Ihre ungewohnte Fröhlichkeit ging ihm offensichtlich gegen den Strich.
Therese sah von ihrer Kaffeetasse auf. Links neben ihr lag ein aufgeschlagener Katalog der Firma Danhauser. Die beiden Seiten zeigten eine Auswahl hübsch gezeichneter Blumentische, Canapétische, Creuzkastentische, Teetische und Arbeitstische. Weiter hinten wurden Nachtkästen und Pfeifenständer angepriesen. Auf der anderen Seite lagen je eine Ausgabe der »Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode« und Bäuerles »Theaterzeitung«, die im Gegensatz zu der Ersteren auch Modelle der Pariser Mode zeigte.
»Ich habe dich etwas gefragt!«, wiederholte der Fürst in nicht gerade freundlicherem Ton. Er reckte den Hals, um einen Blick auf die aufgeschlagenen Zeitschriften zu erhaschen, die die neuen Trends für das kommende Frühjahr zeigten: luftige, bunte Seidentaftkleider mit engen Ärmeln und etwas längeren und üppigeren Röcken als im vergangenen Jahr, dazu passende Handschuhe, Strümpfe mit Seidenstickerei, flache Schuhe mit breiten Bändern, Hüte, Fächer aus Schildplatt, ein besticktes Ridikül …
»Ach, die Vorfreude, mächtig Geld für neue Garderobe zum Fenster hinauszuwerfen, lässt das Frauenherz höher schlagen«, meinte er spöttisch, doch weniger verärgert.
Therese seufzte innerlich auf und schob unauffällig eine kleine Karte aus edlem Papier unter ihre Zeitschrift.
»Aber ja, mein verehrter Gatte, wie stünden wir da, wenn wir hinter den anderen Damen und Herren der Gesellschaft zurückblieben und es aufgeben würden, mit ihnen in Pracht und Extravaganz zu wetteifern?«
Er schnaubte durch die Nase. »Zumindest mit mehr Geld.«
Therese spürte, dass sich die gefährlichen Wolken verzogen, und versuchte weiter auf sicheren Boden zu gelangen. »Mehr Geld, ja, um es gegen Bancozettel unserem Land zu borgen und es dann ganz zu verlieren, wenn Ferdinand wie sein Vorgänger auf die glorreiche Idee kommt, ein ›Kaiserliches Finanzpatent‹ zu beschließen, was man anderorts auch Staatsbankrott nennt.«
»Was verstehen Frauen von solchen Dingen?«, brummte der Fürst.
»Dass ein Krieg mit Napoleon über unsere Finanzen ging genauso wie ein Wiener Kongress. Wer weiß, was noch so auf uns zukommt. Es kocht und brodelt an allen Ecken und Enden.«
Die zunehmend gerunzelte Stirn signalisierte Therese, dass ihr Gatte nicht gewillt war, mit ihr über die Politik des Kaiserhauses zu sprechen. Sie versuchte sich daher in einer Kehrtwendung.
»Es bleibt jedenfalls unbestritten, die beste Investition ist die in eine neue Frühlingsgarderobe und natürlich in ein paar feurige Pferde, nicht wahr? Denkst du nicht auch an einen neuen Wagen? Lorenz sagte mir, du würdest heute zu Herrn Brandmayer fahren.«
Er ließ sich ablenken. Der Fürst bestrich sich ein Kipferl dick mit Butter und ließ sich noch einen Kaffee einschenken.
»Ja, ich habe einen Termin mit Simon Brandmayer persönlich vereinbart«, sagte er mit vollem Mund. »Ich dachte an einen neuen Jagdwagen, so in der Art, wie Esterházy sie in Ungarn bauen lässt. Nur möchte ich einen Verschlag für meine Hunde unter den Sitzen und eine größere Pritsche für das Wild. Der Wagen muss ja nicht ganz so leicht werden, wie sie ihn in Ungarn bei den sandigen Böden brauchen.«
Die Fürstin nickte. »Willst du hier in Wien neue Pferde erwerben, oder lässt du welche vom Gestüt deines Vetters Octavian kommen?«
»Ich schau mich in den Ställen unseres verehrten Kaisers um«, sagte der Fürst noch immer mit vollen Backen kauend. Therese sah überrascht auf. »Ja, er will einige seiner geschätzten Lipizzaner und Kladruber verkaufen. Irgendeiner seiner Berater hat ihn wohl zum Sparen überredet. Nun will ich sehen, ob ich etwas Außergewöhnliches ergattern kann, ehe sich das herumgesprochen hat. Soll ich für dich auch nach irgendetwas Ausschau
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