Das Herz der Nacht
der Stimmung mit Ihnen zu reden.«
András hörte den berechnenden Unterton in der Stimme. Dem Pfarrer dagegen entging er, oder er wollte sich trotzdem darauf einlassen.
»Ich will sehen, was ich erreiche. Ah, da kommt ja Wachmann Brögel, der müsste mir die Tür aufschließen und in der Nähe bleiben, während wir miteinander sprechen. Aber keine Angst, er soll nichts von dem zu hören bekommen, was Sie mir anvertrauen.«
»Gut, aber vergessen Sie das Essen und Trinken nicht!«, erinnerte ihn Grossler an das, worauf es ihm eigentlich ankam.
»Aber ja. Wachmann Brögel, bleiben Sie so lange hier, um mir dann aufzuschließen? Ich komme gleich wieder.« Der Seelsorger eilte davon.
András unterdrückte einen Seufzer. Natürlich konnte er sowohl mit dem Wächter als auch mit dem Pfarrer fertig werden, doch wenn es zu vermeiden war, wollte er nicht auffallen. Die Nacht war noch lang. Er würde warten, bis Grossler wieder allein im Verhörraum saß. Derweil könnte er ja in den Frauentrakt hinübergehen und sehen, ob es etwas Lohnendes gab, seinen noch immer drängenden Blutdurst zu stillen.
Unbemerkt huschte der Vampir davon. In den Gemeinschaftszellen der Dirnen und Betrügerinnen fand er einige, deren Blut noch leidlich frisch schmeckte. Andere dagegen, denen verschiedene Leiden mit ihrem Schweiß aus allen Poren drangen, mied er lieber. Es waren auch etliche Frauen darunter, die so viel Brandwein im Blut hatten, dass es den Vampir noch in einen Rausch versetzt hätte. Allerdings in keinen angenehmen. Er tat wohl daran, solches Blut zu meiden, denn dies verursachte ihm nicht nur unangenehme Leibschmerzen, es trübte auch seine Sinne und raubte ihm seine Schnelligkeit und sein Geschick. Und dabei schmeckte mit Alkohol verunreinigtes Blut nicht einmal besonders.
András beugte sich über ein Mädchen von vierzehn oder fünfzehn Jahren, dessen Hemd und Röcke vor Schmutz starrten und zahlreiche Risse aufwiesen. Der Brandweingestank umhüllte sie wie eine Wolke. Angewidert wich der Vampir zurück. Die Frage drängte sich ihm auf, ob sie das Mädchen eben erst in diesem Zustand aufgegriffen hatten. Oder war es so einfach, sich hinter diesen Mauern mit berauschenden Getränken zu versorgen?
András wählte statt dem Mädchen eine stattliche Frau mit dickem Busen, die auf ihrer Pritsche auf dem Rücken lag und mit offenem Mund herzhaft schnarchte. Sie war nun sicher nichts, das seine restlichen Sinne ansprach, schien aber gesund und wohlgenährt und hatte auch weniger Ungeziefer als die anderen.
Der Vampir trank, ließ aber bald schon wieder von ihr ab. Nicht, dass ihr Blut ihm nicht schmeckte. Etwas anderes lenkte ihn ab und raubte ihm die Ruhe. Was war es, das ihn antrieb, sich zu beeilen? Eine seltsame Rastlosigkeit erfasste ihn. Was nützte es, jetzt schon zurückzukehren, während der Pfarrer Grossler befragte und der Wächter vor der Tür stand? Und dennoch musste er sich geradezu zwingen, noch ein wenig zu verweilen. Fast widerwillig näherte er sich einer weiteren Schlafenden, die sich mit einer älteren Frau das Lager teilte. András beugte sich herab, als er mitten in der Bewegung innehielt.
Was tat er hier eigentlich? Er versuchte mit allen Mitteln seine Instinkte zu verleugnen! Wusste er es nicht besser? Aus irgendeinem Grund drängte es ihn, sofort zu Grossler zurückzukehren, doch er versuchte seine Ahnungen zu unterdrücken.
»Narr!«, sagte er zu sich selbst und war schon halb zur Tür. Er rannte über den Hof und schoss geradezu die Treppe hinauf und den Gang entlang, während seine innere Stimme ihm zuflüsterte, er müsse sich nicht mehr beeilen. Es war bereits zu spät!
András fand Grossler weder in dem Verhörraum vor, in dem er ihn zuvor entdeckt hatte, noch in einem anderen Raum des Gefangenenhauses, obwohl er es vom tiefsten Keller bis unter das Dach untersuchte. Jakob Grossler blieb verschwunden, als habe er sich in Luft aufgelöst. Wie zum Teufel war das möglich? András konnte sich keinen Reim darauf machen.
Er verfolgte die Witterung durch den Flur und in einen Raum, in dem noch ein Becher und ein halb geleerter Teller auf dem Tisch standen, doch dort verlor sich die Spur. Verwirrt drehte sich András um seine Achse. Erst nach einer Weile fragte er sich, was eigentlich aus dem Wächter und dem Pfarrer geworden war?
Er fand sie in einem Nebenraum auf dem Boden liegend, anscheinend in tiefem Schlaf. Der Wächter war tot, der Seelsorger hatte nur das Bewusstsein verloren.
Das wurde
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