Das Herz der Nacht
Tag fertiggestellt hatte und der sie heimlich den Titel »Graf András Petru Báthory – der Engel der Nacht«, gegeben hatte. Natürlich waren dies nicht die Worte, die sie über der ersten Notenlinie notiert hatte!
Es wurde dunkel, und sie hätte längst die Lampen entzünden müssen. Das Mädchen war bereits gegangen. Karoline rührte sich nicht. Sie sah nur auf die Gasse hinunter und ließ ihren Gedanken und ihrer Trauer freien Lauf.
Plötzlich hielt sie inne. Sie konnte keinen Laut hinter sich vernehmen, dennoch spürte sie, dass sie nicht mehr allein war.
»Was gibt es, Sophie?«, fragte sie, ohne sich umzudrehen. Im Zimmer war es längst stockdunkel.
»Ich habe mich gefragt, warum du keine Lampe angemacht hast, obwohl die Nacht längst hereingebrochen ist«, antwortete die Tochter.
Überrascht fuhr Karoline herum. »Woher weißt du das? Ich meine …« Verschämt verstummte sie.
»Du meinst, ich kann es ja nicht sehen? Ach Mama, ich sehe mehr, als du dir jemals vorstellen kannst.«
Karoline war verwirrt. »Du kannst das Licht sehen? Wie kommt das plötzlich?«
Das Kind seufzte tief, so als fiele es ihm schwer, Geduld zu bewahren.
»Ich kann das Licht nicht mit meinen Augen sehen, nein, daran hat sich nichts geändert, aber ich spüre die Wärme der Lampe und höre das Zischen der Flamme. Ich sehe auf eine andere Art als ihr alle.« Es waren ähnliche Worte, wie sie der Graf verwendet hatte.
Der Graf! Sie hatte ihn gehen lassen. War ihm nicht beigestanden, um ihn vor den Angriffen ihres Bruders zu schützen. Nun war es zu spät. Er würde nicht zurückkehren, das wusste sie. Seine Ehre würde es nicht zulassen, nicht ehe Carl die Worte zurücknahm und sich entschuldigte. Und das würde ihr Bruder nicht tun.
»Warum stehst du schon so lange hier im Dunkeln?«, wollte Sophie wissen.
»Ach, ich habe nachgedacht. Weiter nichts.«
»Über den Grafen? Er kommt nicht mehr wieder, nicht wahr? Carl hat ihn hinausgeworfen.«
Es gab nichts, das diesem Kind entging. Karoline ging nicht darauf ein und schlug stattdessen vor, eine Lampe zu entzünden. Sie machte zwei Schritte in die Richtung, in der sie Sophie vermutete, und stieß sich das Schienbein schmerzhaft an einem Stuhl an.
»Aua! Oh, tut das weh!« Sie tastete nach der Sitzfläche und ließ sich darauf sinken. Für einige Augenblicke kämpfte sie mit den Tränen. Nicht nur wegen des Schmerzes in ihrem Bein.
Eine schmale Hand tastete nach der ihren. »Mama, tut es sehr weh?«
»Nein, es geht schon.«
»Soll ich dich führen? Dann kann dir nichts passieren. Du kannst mir vertrauen. Ich stoße mich nie an.«
Karoline umfasste die Kinderhand und erhob sich. Erst zögernd, dann immer zuversichtlicher ließ sie sich von Sophie leiten. Was für ein seltsames Gefühl. Eine verkehrte Welt. Nun war sie die Blinde, und ihre Tochter konnte sehen. Sie war die Hilflose, die sich führen ließ. Sollte nicht sie die Mutter sein, die ihr Junges leitete und schützte?
Sophie führte sie durch die ganze Wohnung und dann die Treppe zu den beiden Dachkammern hinauf, die sie zusammen bewohnten. Karoline fühlte sich seltsam geborgen. Und wieder stiegen Tränen in ihr auf.
»Tut dir dein Bein so weh?«
»Aber nein, es ist schon vergessen«, wehrte Karoline ab.
»Warum weinst du dann?«
»Weil wir beide so viel versäumt haben.«
Karoline konnte nicht sagen, ob Sophie diese Antwort verstand, jedenfalls fragte sie nicht weiter nach, sondern führte die Mutter an den Tisch, wo die Lampe stand. Karoline zögerte, sie zu entzünden und den seltsamen Zauber zu durchbrechen, den die Dunkelheit über sie und ihre Tochter gelegt hatte.
Als András erwachte, kamen ihm das blutige Messer und die provozierende Nachricht wieder in den Sinn. Sein Messer, das irgendjemand entwendet und zu einer Bluttat benutzt hatte.
Das war das eine. Es aber nachher auf seine Schwelle zu legen, um ihn in Verdacht zu bringen, das war ein unverschämtes Stück und entfachte seine Wut. Und ihn dann auch noch zu verhöhnen!
András waren die Gesetze und Regeln der Menschen gleichgültig, und er fühlte sich auch nicht berufen, irgendwelche Mörder ihrer Strafe zuzuführen. Aber wenn sich jemand erdreistete, sich in sein Leben einzumischen und ihm Schwierigkeiten zu bereiten, dann sollte er erfahren, zu was ein Vampir fähig war! András würde nicht ruhen, bis es ihm gelang, diesem Unwesen Einhalt zu gebieten.
Er machte sich auf den Weg. Die Witterung des Eindringlings hatte er noch in der
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