Das Herz der Nacht
ja immer seltsamer. Hatte Grossler sie niedergeschlagen und war dann geflohen? Aber wo war dann seine Spur? Sie musste zu einer Tür oder einem Fenster führen. Wie konnte sie sich einfach verlieren?
András konzentrierte sich noch einmal auf die leisen Duftnoten, die noch im Raum schwebten.
Was war das? Der Vampir erstarrte. Er begann vor Erregung zu zittern. Das konnte nicht sein. Und doch war das die einzig mögliche Erklärung.
Noch einmal strengte er seine Sinne an und richtete sie auf diesen einzigen Hauch, den er wahrzunehmen geglaubt hatte.
Hatte er es nicht bereits geahnt und nur nicht wahrhaben wollen?
Er trat noch einmal zu dem Wächter und dem Gefangenenseelsorger, beugte sich hinab und nahm jede mögliche Witterung auf, die an ihnen haftete, ehe er sich wieder erhob. Hier gab es für ihn jedenfalls nichts mehr zu tun.
Mit schweren Schritten machte er sich auf den Heimweg, fast so, als wäre er ein Mensch, der ermattet von seiner Arbeit heimkehrt, den Rücken gebeugt, von seinen Sorgen um die Zukunft niedergedrückt.
14. Kapitel
Besuch im Palais Fries
András saß an seinem Flügel im Musiksalon, doch so recht wollten die Läufe heute nicht klappen. Er war abgelenkt. Seine Gedanken gingen eigene Wege, und das verzieh das Pianoforte nicht. Es war wie ein eigenes Wesen fordernd und zur Eifersucht fähig. Seinen Zauber gab es nur frei, wenn man ihm alle seine Sinne opferte und seine Seele darbot. Nicht aber, wenn ein Teil des Verstandes durch das Gefangenenhaus an der Sterngasse geisterte! Dann hörte er Gorans Schritt auf der Treppe bis ins Entree.
»Was bringst du?«, rief er den Diener.
Goran trat in den Musiksalon und überreichte seinem Herrn eine Karte mit der ihm schon vertrauten Schrift. Der Diener signalisierte ihm, dass diese gerade von einem Lakaien abgegeben worden war. Da er nun schon einmal unterbrochen hatte, konnte er sie auch gleich lesen. András klappte die Karte auf. Nein, es war nicht nur eine Karte mit einer knappen Einladung. Es war ein ganzer Brief:
Mein Freund,
haben Sie die Nachricht schon bekommen? Ich kann mein Glück kaum fassen! Was für ein Zufall! Wenn es in meinen Möglichkeiten gelegen wäre, hätte ich der Entscheidung natürlich nachgeholfen. Nun muss ich feststellen, Fortuna steht fest auf meiner Seite!
Wissen Sie überhaupt, wovon ich spreche? Nein? Mein Freund, wir werden beim Schlittenkarussell ein Paar sein. Und was für eins! Uns wird kein anderer einholen können. Der Sieg ist jetzt schon unser!
Sie halten meinen Siegestaumel für verfrüht? Aber nein, ich habe gesehen, wie Sie kutschieren, und glauben Sie mir, lieber András, ich werde uns genug Mohrenköpfe herunterholen oder was wir dieses Mal auch stechen sollen. Nun müssen wir nur noch unser Kostüm besprechen und wie wir unseren Schlitten ausstaffieren. Prächtig muss es natürlich sein, einem Paar wie dem unseren angemessen!
Was für eine Farbe würde zu Ihnen passen? Schwarz, wie immer? Es ist sehr edel, aber zwingen Sie mich nicht zu einem schwarzen Gewand. Man würde mir mein Alter unzweifelhaft ansehen.
András musste schmunzeln. Eines war gewiss, Fürstin Kinsky brachte Abwechslung in sein ewiges Dasein. Er las weiter.
Was dann? Silber steht Ihnen besser als Gold, aber von zu viel Flitterkram ist abzuraten. Was dann? Dunkles Rot, wie Blut, der Saft des Lebens. Oh ja, ein wenig schaurig könnte es sein. Passend zu einer Nacht der Dämonen, wie der Fasching sie durch die Straßen treibt.
Nun, ich freue mich, von Ihnen zu hören. Heute muss ich meinen Gatten leider ins Burgtheater begleiten. Ich weiß gar nicht, was gegeben wird, doch den Anschütz als großen Helden zu sehen, ist es schon wert, und für den schönen Fichter werden sie wohl wieder eine Rolle als großen Liebhaber gefunden haben. Und dann die Wildauer! Sie ist begnadet als Sängerin und als Mimin. Vielleicht, mein Freund, sollten wir einmal zusammen hingehen. Unsere Loge bleibt ohnehin viel zu oft verwaist. Aber nicht heute. Nein, das wäre keine gute Idee. Wie wäre es morgen? Ich erwarte Ihr Erscheinen und werde Ihnen keine Ausrede verzeihen.
Ihre Therese
Fürstin Kinsky von Wchinitz und Tettau
András legte den Brief beiseite. Sie war selbstbewusst und fordernd, doch ohne die Hochnäsigkeit der anderen Fürsten ihrer Gesellschaftsklasse, gepaart mit einem Lebenshunger, der ihm gefiel. Ja, er würde seine Fürstin nicht warten lassen!
Nun aber wurde es Zeit, sich wieder seinen Studien zu widmen. Er ließ den
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