Das Herz der Ozeane - Honky Tonk Pirates ; Bd. 5
gerufen hat.
Der Alte Pirat stand aufrecht im Bug und stützte sich schwer auf seine Muskete. Er konnte keinen der Freunde trösten. Es gab keinen Trost, seitdem er vor fünf Tagen aus dem Schlaf geschreckt war. Er hatte vom toten Valas geträumt. Er hatte geträumt, wie dieser riesige Wal von schwarzen Vögeln gefressen wurde. Wie er in die Tiefe stürzte, wo es kein Wasser mehr gab, sondern nur Schwarzes Licht. Und an diesem Tag war der Wind aus dem Norden gekommen.
Whistle spürte das Eis, das sich auf seine Haut legte und in die alten Falten kroch. Er fühlte den Wundbrand in der Brust und er wusste, dass seine Zeit gekommen war. Er wandte den blinden Blick zu Feuerkopf Finn, der seit Tagen am Steuer stand, und erhob die Stimme gegen den immer stärker werdenden Sturm.
»Ich höre euren Kummer. Ich rieche eure Furcht und ich fühle eure Sorgen. Mich quälen dieselben Fragen wie euch. Doch es gibt keinen Trost. Es tut mir so leid. Es gibt keine Hoffnung und auch keinen Ausweg. Jo, selbst die genialste Erfindung könnte uns jetzt nicht mehr helfen. Nicht ohne Will. Ohne ihn sind wir machtlos. Wir sind nur der Köder. Die Ziege, die den Tiger ins Dorf locken soll. Wir lenken ihn ab, damit Will das finden kann, was uns noch rettet: das Herz der Ozeane. Doch ob er es findet, liegt allein bei ihm. Wir können nichts tun, als an ihn zu glauben. Und bitte vergesst nicht: Der Glaube ist stärker als die stärkste Magie.«
Er berührte sein Herz. Er schloss seine Augen und als er sie wieder aufschlug, umklammerte Finn vor Schreck das Ruder. Er bohrte die Fingernägel in das glatte Holz, damit die anderen sein Entsetzen nicht merkten. Er starrte auf Whistle, doch der sterbende Alte legte den Zeigefinger auf den Mund.
Hey, sagte sein ermutigendes Lächeln. Ich glaube an euch. Und ich wünsch euch viel Glück.
Seine blinden Augen suchten nach Ratten-Eis-Fuß und dem Windschiefen Cutter. Er fühlte und hörte und roch, dass sie weinten und wie sich ihre Tränen mit dem Regen vermischten.
Dann räusperte er sich ein letztes Mal. »Nehmt Kurs nach Osten«, befahl er zum Abschied. »Fahrt dorthin, wo die Sonne aufgeht.«
Mit diesen Worten wandte er sich nach vorn, stützte sich auf seine Muskete, stellte sich – wie eine Galionsfigur – aufrecht und stolz an die äußerste Spitze des Bugs und genoss die Eiseskälte, die seine Kleider und Haut wie eine Erlösung überzog. Ja, und er fühlte sich wohl. So wohl, als schliefe er nach einem unendlich langen und wunderbar anstrengenden Tag endlich glücklich und zufrieden ein.
WILL MUSS SICH ENTSCHEIDEN
och dort, wo für Wills Freunde die Sonne aufging, ging sie für ihn gerade unter. Und das sogar dreifach, auch wenn er die riesigen Feuerbälle, die wie entzündete Einschusswunden im Horizont steckten, zunächst nicht bemerkte.
Will lag auf seinem Sarg und trieb irgendwo mitten im Atlantischen Ozean langsam nach Westen. Tagsüber brannte die Sonne unerträglich auf ihn herab. Deshalb verkroch er sich unter dem Segel, das er aus dem Rock des Peste Angelica und dem Hemd der Triple Twins geknotet und zwischen den japanischen Schwertern aufgespannt hatte, und wartete auf den Abend. Dann trank er wie jetzt das Wasser, das er tagsüber aus dem salzigen Meerwasser kondensiert hatte, aß von dem Fisch, der ihm ins N etz gegangen war und paddelte westwärts gegen die Strömung.
Es war eine mühsame Sisyphusarbeit. Die Dünung war stark, zwei bis drei Meter hoch und deshalb sah Will die drei Sonnen erst, als die mittlere hinter den Horizont sank. Die beiden anderen blieben als Monde stehen. Monde, die Feuer gefangen hatten und lichterloh brannten und als Will den rechten von ihnen gegen Mitternacht erreichte, fand er nur noch einen Rumpf.
Langsam glitt Will an dem noch immer glühenden Schiffswrack vorbei. Das warf sein gespenstisches Licht über die Planken und Truhen, die um ihn herum auf den Wellen trieben. Will fand Lebensmittel, Wasser und Wein. Er jauchzte vor Freude. Das war ein Geschenk. Das Geschenk eines Gottes und zum ersten Mal glaubte Will, dass Gott den Piraten vielleicht doch näherstand als der Teufel. Auch wenn Honky Tonk Hannah, Blind Black Soul Whistle und er keine Gelegenheit ausgelassen hatten, das Gegenteil zu behaupten. Der Wein war fantastisch und die kleinen Schlucke, die er sich erlaubte, ließen ihn seine Einsamkeit vergessen. Die Mühen und Qualen und die Aussichtslosigkeit seiner Suche. Der Ozean war plötzlich gar nicht mehr so groß. Will schöpfte
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