Das Herz der Ozeane - Honky Tonk Pirates ; Bd. 5
nicht mehr Fritz. Ich bin jetzt der, der die Geschichten erzählt, die Geschichten der Zukunft. Und die da …«, er zeigte auf das Mädchen, das lachend neben Moses ging, »… die da heißt auch nicht mehr Josefin.«
»Ich heiße jetzt Nachtigall, denn ich singe die Lieder. Wir haben uns alle neue Namen gegeben und wir wollen auch eine Sprache erfinden. Eine eigene Sprache, die es noch nicht gibt. Und sie soll klingen wie Gesang. Wir sind hier so glücklich und wollen die böse Vergangenheit für immer vergessen.«
In diesem Moment betraten sie einen kleinen Hügel, von dem aus die Mädchen und Moses die ganze Stadt überblicken konnten.
»Ist das nicht wie Libertaria?«, fragte der Junge, der die Geschichten erzählte. »Moses, jetzt sag schon. Ist das nicht das Paradies?«
Das Mädchen, das Nachtigall hieß, begann leise zu singen.
»Gestern ist tot.
Es lebe das Morgen.
Vergesst die Erinnerung.
Hey, ihr auf den Bäumen,
Lasst uns nur träumen!«
»Ja, lasst uns nur träumen!«, sangen die anderen Kinder mit ihr zusammen. »Wir träumen von Dingen, die es noch nicht gibt!«
Danach war es still und die Blicke der Kinder hingen an Moses. Der war mehr als gerührt.
»Wenn du bei uns bleibst – nein, wenn ihr bei uns bleibt …« Das Mädchen nahm Thule und Teh in den Arm. »… dann werdet ihr unsere Lehrer. Bitte, bleibt bei uns und lasst uns hier leben.«
»Ja, und wozu …«, fragte der Junge, der die Geschichten erzählte, »… brauchen wir dafür einen magischen Ring? Wozu brauchen wir Schätze oder Kanonen? Moses, jetzt sag schon. Du bist doch selbst auf der Insel gewesen. Du warst der König des Vergessenen Volkes. Du bist der Vater von Aweiku.«
»Die von Kanonen gerettet wurde«, fuhr ihn Moses barsch an und wischte sich zornig über den Mund. Er wollte nicht weinen. »Ich kann nicht euer Lehrer sein. Es tut mir so leid. Das müsst ihr mir glauben. Denn während ihr eure Stadt gebaut habt, haben Gagga und Talleyrand die Hölle geöffnet. Sie sind jetzt so stark und mächtig wie nie.«
Er musterte sie. Er sah ihre Enttäuschung.
»Und deswegen bitte ich euch: Kommt mit mir. Kommt mit zu den letzten Piraten und kämpft mit ihnen und uns dafür, dass wir vielleicht alle einmal an solch einem Ort leben dürfen.« Er war zornig und wütend und unendlich traurig und er las dieselben Gefühle in den Gesichtern der Kinder.
Sie schauten auf ihre bunte Stadt. Die Schirme auf den Nestern wippten friedlich im Rhythmus der Wellen. Sie waren so stolz auf ihr neues Zuhause. Sie hatten hier alles, was sie sich jemals gewünscht hatten und Moses verlangte, das aufzugeben. Doch das war nicht alles. Er verlangte noch mehr.
»Doch ich muss euch warnen«, fuhr der Chevalier fort. »Die Chancen für uns stehen sehr schlecht. Blind Black Soul Whistle, der letzte Piratenfürst liegt im Sterben und der Neue ist für die große Aufgabe noch nicht bereit. Wir wissen noch nicht einmal, ob er noch lebt.«
DER KÖDER FÜR GAGGA
lind Black Soul Whistle spürte die Angst und die Ungewissheit der auf dem Deck des Dreispitzes zusammengepferchten Freunde. Er konnte sie spüren, obwohl ihre Gesichter in den dunklen Schatten der Decken und Planen verborgen waren, mit denen sie sich vor dem seit zehn Tagen andauernden Regen zu schützen versuchten. Sie waren alle bis auf die Knochen durchnässt. Haare und Kleider klebten an ihnen und ließen sie frösteln. Denn zu dem Regen war vor fünf Tagen auch noch Wind gekommen. Ein Wind, der nach Eis roch. Und der alte Pirat roch den Tod, der sich auf das Schiff schlich, um sich seine Beute zu holen.
Whistle hörte den rasselnden Atem des alten O’Brian. Er hörte Rachel und Sarah wimmern, wenn der Schüttelfrost sie packte. Er hörte den zitternden Gesang, mit dem Salome und Ophelia, die beiden tapferen Damen aus Berlin versuchten, die vielen Kinder zu trösten, und er hörte die Fragen in den glanzlosen Augen von Jo. Dem gar nicht mehr so kleinen und ängstlichen Regentropfen-fallen-auf-dich-Jo. Doch weil er nicht mehr so ängstlich war, spürte Whistle seine Angst umso stärker.
Ich kann nichts erfinden, was uns jetzt noch rettet!, dachte der Junge. Und was können wir tun? Wohin fahren wir, Whistle? Wann kommen Will und Hannah zurück? Sie kommen doch wieder? Und was ist mit Moses und dem Fliegenden Rochen? Warum ist er nicht schon wieder bei uns? Er könnte uns retten. So wie er uns schon einmal gerettet hat, als Hannah ihn und Moses und die Kinder mit dem Drachenring
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