Das Herz der Savanne - Afrika-Roman
Tag, wohin wollen Sie?« Eine Nachbarin starrte sie misstrauisch an.
Ruth überlegte nicht lange. »Ich wollte eigentlich zu Corinne van Leuwen.«
Die Nachbarin lächelte verkniffen. »Die werden Sie hier nicht mehr antreffen. Die lebt inzwischen woanders.«
Ruth deutete auf die Wäscheleine. »Und wem gehören die Strümpfe dort?«
Die Nachbarin rümpfte die Nase. »Weiß ich es? Wenn der Herr des Hauses mal da ist, dann ist er nie allein. Hier gehen die Frauen ein und aus. Keine Ahnung, wem die Strümpfe gehören, aber das eine kann ich Ihnen sagen: Lange schau ich mir das nicht mehr mit an. Ich weiß schon gar nicht mehr, was ich meinen Kindern antworten soll, wenn sie mich fragen, wer die Frau da drüben jetzt schon wieder ist.« Sie sah sich nach allen Seiten um, als fürchtete sie, jemand könnte sie hören. »Stellen Sie sich vor: Vor Kurzem war sogar ein Schwarzer hier!«
»Nein! Was Sie nicht sagen!«
»Doch, junge Frau, ich weiß, es ist schwer zu glauben, aber diese Leute da drüben scheinen wirklich keinen Wert auf ihren Umgang zu legen. Er sagte, Frau van Leuwen schicke ihn, er hätte einen Schlüssel. Aber Herr van Leuwen hatte mich vorgewarnt. Er hat mich beauftragt, die Polizei zu rufen, sobald etwas Ungewöhnliches auf dem Grundstück vorgeht.«
»Und?«, fragte Ruth.
»Was und? Das ist doch ungeheuerlich! Ein Schwarzer in unserer Siedlung! Ich habe natürlich sofort die Polizei und Herrn van Leuwen gerufen.«
»Hatte der Schwarze einen Schlüssel?«
Die Frau nickte. »Ich habe gesehen, dass er aufgeschlossen hat. Aber später war dann eine Scheibe eingeworfen. Die Polizei hat alles aufgenommen. Auf einmal war er nämlich da, der feine Herr van Leuwen. Wie aus dem Boden gewachsen und so schnell, als hätte er hinter der Hecke gewartet. Meinen Anruf hat er jedenfalls nicht entgegengenommen.« Sie schüttelte den Kopf. »Mein Mann sagt auch, dass solche Leute nicht hierhergehören.«
Ruth nickte. »Das kann ich gut verstehen. Dann werde ich Corinne van Leuwen eben ausfindig machen müssen. Sicher weiß sie gar nicht, was hier los ist.«
Die Nachbarin zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Ich habe sie seit Monaten nicht mehr gesehen. Vielleicht hat sie sich von ihm getrennt. Würde mich jedenfalls nicht wundern. Das arme Ding. Die Nachbarn haben sich schon seit Jahren die Mäuler zerrissen. Zum Schluss wollte niemand mehr etwas mit ihr zu tun haben. Es geht ja auch um die Kinder, nicht wahr? Gott sei Dank sind sie auf dem Internat. Wurde auch höchste Zeit, wenn Sie mich fragen. Es hat ja kein Kind mehr mit ihnen gespielt. Und zu den Geburtstagen wurden die van Leuwens auch nicht mehr eingeladen. Wer will schon mit einer Familie befreundet sein, in der solche Dinge vorkommen?«
»Danke!« Ruth fühlte sich auf einmal so gestärkt wie nach einem Urlaub. Endlich wusste sie, was sie tun konnte; endlich wusste sie, wie sie Horatio helfen konnte!
Sie ging eiligen Schrittes zurück und steuerte die nächste Telefonzelle an. Sie musste unbedingt auf der Farm anrufen und betete inständig, dass jemand abnahm.
Sie hatte Glück; Rose war sofort am Apparat.
»Schick Corinne nach Swakopmund. Wenn sie nicht will, dann erfinde einen Vorwand. Und lass Willem auf der Farm. Wenn es eine Möglichkeit gibt, Corinne und Horatio vor Unglück zu bewahren, dann komm um Gottes willen mit meiner Schwester hierher. Es ist dringend, wirklich dringend.« In wenigen Worten berichtete sie ihrer Mutter, was sie in Swakopmund erfahren hatte.
Rose verstand sofort. »Corinne steckt also tiefer in der Sache drin, als wir dachten. Willem hat sie da reingezogen. Wir kommen. Wir kommen beide. Heute Abend sind wir da. Willem erzählen wir etwas von einem Einkaufsbummel in der Stadt. Und, Ruth, auch hier hat sich etwas getan: Die Waffen sind gefunden worden.«
»Was? Nein, das glaube ich nicht. Wo denn? Und wer hat sie gefunden?«
»Dreimal darfst du raten. Aber ich erzähle dir heute Abend alles ganz genau. Wir fahren sofort los und treffen uns am besten im Hansa-Hotel.«
»Ja, das Hansa-Hotel ist gut. Jetzt sag schon, wer hat die Waffen gefunden?«
Noch ehe Rose antworten konnte, wurde die Verbindung unterbrochen. Hektisch suchte Ruth nach Kleingeld, aber sie hatte nur noch Scheine in ihrer Geldbörse. »Dann muss ich mich wohl bis heute Abend gedulden«, murmelte sie und sah auf ihre Uhr. Es war kurz nach zwölf Uhr. Wenn alles gutging, konnten Rose und Corinne am Nachmittag in Swakopmund
Weitere Kostenlose Bücher