Das Herz der Savanne - Afrika-Roman
Frau, die sie großgezogen hatte, mit einem mitleidigen Blick. »Darum geht es doch gar nicht. Ja, Mama Elo, der Käse war lecker. Aber ganz und gar nicht lecker ist, was die Zeitung daraus gemacht hat. Du brauchst nicht zu backen. Es wird niemand kommen.«
Mama Elo trat einen Schritt näher, legte Rose eine Hand auf die Schulter. »Nicht traurig sein, Misses. Die Dinge brauchen ihre Zeit. Alle, die versuchen, die Schwarzen zu verstehen, haben am Ende einen Gewinn davongetragen.«
Rose nickte, dann bedeutete sie Mama Elo mit einem Handwedeln zu verschwinden.
»Einen Gewinn davongetragen. Dass ich nicht lache!«, murmelte Rose und holte die Schallplattenhülle unter ihrer Liegestatt hervor.
Die Tiertänze von Alexander’s Ragtime Band waren in Amerika die heißeste Mode des Jahres 1913 gewesen, und es hatte nur wenige Monate gedauert, bis sich auch Südwestafrika nach den Ragtime-Rhythmen von Irving Berlin und seinem Orchester bewegte. Natürlich nur die schwarzen Afrikaner.
Schon in der Schule war Rose vor dieser Musik eindringlich gewarnt worden. »Das sind keine Tänze, das ist ... Das ist pure Wollust«, hatte die Lehrerin, ein weißes Fräulein aus Deutschland, mit vor Abscheu verzerrtem Gesicht gesagt. »Mit diesen Tiertänzen werden Moral und Sitte zu Grabe getragen. Für unschuldige Kinder wie euch ist das eine Katastrophe. Diese Musiker ahmen die Tiere nach. Wie die Neger, die selbst nur eine kleine Stufe über den Tieren stehen. Diese Truthahntänze und Affen-Rolls, dieses Schweineballett und wie sie alle heißen sind eindeutig Negermusik! Eine Sünde gegen den Schöpfer! Und wenn wir uns nicht dagegen wehren, machen wir uns zu Opfern der Schwarzen.«
Rose aber hatte diese Musik schon als Kind himmlisch gefunden. Bei den Tänzen konnte sie ausdrücken, was in ihr war. Sie musste nicht schlagen – das tat eine weiße Dame schließlich nicht –, sie konnte stattdessen den Bären-Reißer tanzen. Sie musste nicht fliehen, sie konnte den Hasen-Hopser in ihrem Zimmer aufführen. Sie brauchte auch nicht schreien, weil die Ragtime-Sänger der Hyänen-Hymne das für sie übernahmen. Und noch heute, über vierzig Jahre später – kaum jemand erinnerte sich noch an Irving Berlin – liebte Rose den Ragtime, die sogenannte Negermusik. Und noch immer tat sie es heimlich, denn es sollte und durfte nichts geben, das sie mit den Schwarzen gemein hatte.
Rose genoss diese Tänze, zugleich aber war es ihr überaus peinlich, wie ein wild gewordener Affe in ihrem Zimmer herumzutoben. Sie hasste die schwarzen Musiker dafür, dass sie das Tier in ihr zum Vorschein brachten, und die weißen Musiker dafür, dass ihnen nichts eingefallen war, das ähnlich befreiend war, man aber auch in Gesellschaft tanzen konnte.
Sie verzog verächtlich den Mund, steckte die Platte zurück in die Hülle und verbarg sie unter der Récamiere. Dann ordnete sie vor dem Spiegel ihr Haar, richtete Bluse und Rock, rückte die Perlenkette gerade und griff nach dem Telefonhörer, um sich mit der Allgemeinen Zeitung verbinden zu lassen.
»Und nun? Was machen wir nun?«, fragte Ruth. Sie stand bis zu den Knien im Kuhmist, in der linken Hand ein Kuhhorn, in der rechten Hand eine Schöpfkelle aus Mama Elos Küchenschrank.
»Wir machen weiter, wie wir es geplant haben«, erwiderte Horatio. »Was sonst?«
Ruth ließ Kuhhorn und Kelle sinken. »Wir können nicht weitermachen wie bisher. Nicht, nachdem der Artikel in der Allgemeinen stand. Die Leute glauben, Salden’s Hill wäre in die Fänge von Voodoo-Priestern geraten. Niemand wird unseren Käse kaufen, niemand Fleisch, Milch oder Vieh haben wollen. Wir sind erledigt.«
Horatio schüttelte den Kopf, nahm ein neues Kuhhorn und füllte es mit Viehdreck. »Du machst dir zu viele Sorgen, Ruth. Morgen schon wird das vergessen sein. Und überhaupt. Was ist so schlimm daran, nach Nama-Traditionen zu arbeiten?«
»Nichts ist schlimm daran«, fauchte Ruth und warf Kelle und Kuhhorn in den Mist. »Du kapierst es nicht, stimmt’s? Es geht nicht darum, ob etwas richtig oder falsch ist. Unsere Nachbarn sind nicht unsere Freunde. Sie sind unsere Konkurrenten. Jedes Mittel ist ihnen recht, um uns in Misskredit zu bringen. Die meisten Leute hier sind dumm. Sie glauben alles, was in der Zeitung steht, haben Angst vor allem, das sie nicht kennen. Die Weißen haben Angst vor den Schwarzen. Das ist es, Horatio. Niemand kauft Dinge, vor denen er sich im Grunde fürchtet. Darum geht es.«
Horatio hatte sich
Weitere Kostenlose Bücher