Das Herz der Savanne - Afrika-Roman
einer wie du, der in den Slums der Stadt aufgewachsen ist. Du bist anders als die meisten Menschen, und es ist gut für Ruth und die Farm, dass du hier bist.«
Horatio lachte bitter. »Wäre ich wie meine schwarzen Brüder in den Slums, dann wäre ich heute vielleicht irgendwo Hilfsarbeiter oder würde mich mit Taschendiebstählen über Wasser halten. Du hast recht: Ich war immer anders. Aber das war nicht immer leicht. Für meine Familie bin ich ein Unglück. Unbegabt in den Dingen des Alltags, ungeschickt und viel zu langsam.« Er schaute Santo in die Augen und brachte ein schmerzliches Lächeln zustande. »Deshalb habe ich Lesen und Schreiben gelernt, deshalb habe ich einen Schulabschluss und war sogar einige Zeit an der Universität. Verstehst du, Bruder? Ich habe gelernt, weil ich zu nichts anderem getaugt habe.«
Santo lächelte. »Das mag sein. Ich sehe dich aber als einen Mann, der bei all den angelesenen Dingen die einfache Arbeit nicht vergessen hat.«
Fünftes Kapitel
H oratio war Ruth nicht deshalb nicht nachgelaufen, weil Santo ihn in ein Gespräch verwickelt hatte. Er kannte Ruth gut genug, um zu wissen, dass sie ein wenig Zeit brauchte. Bevor er sie suchen ging, wollte er ihr Gelegenheit zum Nachdenken geben.
Jetzt, zwei Stunden später, holte er ein Pferd aus dem Stall, schwang sich linkisch auf den Sattel, sprach dabei dem Tier gut zu, damit es seine Angst nicht bemerkte. Dann ritt er über den Wirtschaftshof hinaus zu den Weiden.
Horatio hatte zwar die meiste Zeit seines Lebens in Windhoek gelebt, doch jetzt genoss er den freien Blick, der erst am Horizont endete, wo das Grau der Weiden sich übergangslos mit dem Grau des Himmels mischte. Ebenso genoss er den Geruch nach Savanne und Vieh und den Anblick der kilometerlangen Staubfahnen, die ferne Fahrzeuge durch den Nachmittag zogen. Auf seinem Weg betrachtete er den Boden und sah, dass Santo tatsächlich den ganzen Viehdreck zur Jauchegrube gefahren hatte. Hoffentlich, dachte er inbrünstig, hoffentlich wird das Land im nächsten Jahr fruchtbarer. Hoffentlich haben wir mit der Düngung Erfolg. Vielleicht bin ich dann nicht mehr auf der Farm, aber Ruth würde es eine Hilfe sein. Und womöglich werden die anderen endlich erkennen, dass ich meine Arbeit hier so gut gemacht habe, wie ich es vermag.
Am Fuße eines kleinen Hügels stieg er vom Pferd. Er bückte sich, nahm ein wenig von der trockenen Erde zwischen die Finger und ließ sie hindurchrieseln. Er roch am graubraunen Boden, steckte sogar ein wenig Erde in den Mund, um zu erkunden, wonach sie schmeckte. Süßlich, fand er. Der Boden schmeckte nach Staub und etwas Süßem.
Komisch, dachte er. Vor ein paar Monaten wäre ich niemals auf den Gedanken gekommen, vom Boden zu kosten. Jetzt kommt es mir ganz natürlich vor, weil ich dieses Land ins Herz geschlossen habe. Es zerreißt mir das Herz, wenn ich von Ruth wegmuss, aber auch die Landschaft werde ich vermissen.
Ihm wurde so wehmütig zumute, dass er aufstand. Dabei war ihm, als hörte er ein Stück entfernt das harte, silbergraue Steppengras rascheln. Aus den Augenwinkeln nahm er einen Schatten wahr, doch als er sich aufrichtete und zur Viehtreiberhütte schaute, die eine Viertelmeile von ihm entfernt stand, lag das Veld so verlassen vor ihm wie immer. Er lächelte. »Wahrscheinlich sehe ich schon Gespenster. Kaum erfahre ich die Reaktionen auf einen kleinen Zeitungsartikel, vermute ich hinter jedem Baum einen Feind. Er schüttelte sich und lauschte noch einmal, doch jetzt war alles still. In der Luft kreisten ein paar Webervögel, und in der Ferne, weit hinter dem Hügel, grasten Springböcke. Aber Menschen waren weit und breit nicht zu sehen.
Horatio nahm eine Wasserflasche aus der Satteltasche und bestieg den Hügel, auf dem er so viele glückliche Stunden verbracht hatte. Wie er angenommen hatte, saß Ruth auf der Kuppe, die Knie angezogen, die Arme drum herumgeschlungen. Wortlos setzte sich Horatio neben sie, reichte ihr die Wasserflasche. Während Ruth trank, sagte er leise: »Ich habe nicht gewusst, wie schön es hier ist.«
»Ja«, erwiderte sie. »Es ist herzzerreißend schön.«
Dann schwiegen sie wieder eine ganze Weile, bis Horatio nach ihrer Hand griff. »Der Artikel ...«, begann er, aber Ruth unterbrach ihn brüsk: »Ich will nicht darüber reden.«
»Ich aber«, verkündete Horatio und hielt die Hand, die sich ihm entziehen wollte, ein wenig fester. »Der Zeitungsartikel hat der Farm geschadet. Deine Mutter und
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