Das Herz der Savanne - Afrika-Roman
ist. Wohin willst du das Kind denn bringen?«
»Wie bitte?« Ruth glaubte sich verhört zu haben. Sie warf ihrer Mutter einen fragenden Blick zu. Rose hatte Sally doch so schnell wie möglich loswerden wollen. Und jetzt? Woher kam dieser Sinneswandel?
»Ja, du hast ganz richtig gehört, Ruth. Das Kind bleibt natürlich erst einmal hier. Was hast du denn gedacht? Also, Sergeant, wohin würdest du die Kleine denn überhaupt bringen?«
»Ins Waisenhaus natürlich. Bis zum Abschluss der Ermittlungen wenigstens.«
»Dann kann ich dir mitteilen, dass das Waisenheim von Gobabis leider jetzt schon überfüllt ist. Du kannst mir das ruhig glauben, ich bin die Kassenführerin der Stiftung, in der auch deine Frau mitarbeitet. Wir haben die Weihnachtsfeier dort ausgerichtet. Wie jedes Jahr. Und dieses Mal gab es für die vielen armen Waisen nicht einmal genügend Betten. Natürlich auch viel zu wenig Pflegekräfte. Das ist keine gute Umgebung für ein so kleines Kind. Möchtest du dafür verantwortlich sein, Sergeant, wenn es Sally an etwas fehlt? Möchtest du dich deiner Frau gegenüber deshalb rechtfertigen? Sally ist ein Mischlingskind. Jeder Mensch weiß, dass diese Kinder es von allen am schwersten haben. Die Schwarzen verstoßen sie, und die Weißen tun dasselbe. Wenn du uns garantieren kannst, dass das Kind alles bekommt, was es für eine gesunde Entwicklung benötigt, dann kannst du die Kleine mitnehmen. Aber so ... Kannst du das?«
Ruth starrte ihre Mutter mit aufgerissenen Augen an. Sie konnte noch immer nicht glauben, was sie da hörte. Rose setzte sich für Sally ein, und zwar so vehement, dass jetzt schon feststand, wer aus diesem Duell als Sieger hervorgehen würde.
Auch Corinne starrte mit offenem Mund. Hin und wieder ließ sie ein kleines »Aber ... aber« hören, aber niemand beachtete sie.
Der Polizist schüttelte den Kopf. »Ich bin doch kein Unmensch, Herrgott! Ich weiß auch, was das Gebot der Nächstenliebe bedeutet. Andererseits habe ich meine Vorschriften. Die Kindsmutter wurde hier tot aufgefunden. Somit geraten die Farm und ihre Bewohner automatisch in den Kreis der Verdächtigen. Ich darf ein Beweisstück nicht den möglichen Tätern überlassen.«
»Was willst du also tun?«
Der Sergeant wand sich auf seinem Stuhl, als stünde der in Flammen. Das Holz unter ihm ächzte. »Ich weiß es nicht. Vielleicht könnte meine Frau die Kleine eine Weile nehmen.«
Rose lachte auf. »Deine Frau, Sergeant? Erika wird entzückt sein. Wie viele Kinder habt ihr, Sergeant? Lass mich nachdenken. Da ist Tom, der Älteste. Ist er schon fünf? Und dann Julia. Sie ist letzten Monat drei geworden, nicht wahr? Und dann wären noch die Zwillinge, Michael und Marcus. Sie lernen gerade laufen. Ich bin ziemlich sicher, Sergeant, deine Frau wartet nur darauf, sich noch um ein Neugeborenes kümmern zu dürfen.«
Der Polizist schaute unglücklich auf seinen Block. Er schwitzte, holte umständlich ein großes Taschentuch hervor und wischte sich damit über den Nacken und die Glatze. »Ich muss das Kind mitnehmen, so sind die Vorschriften«, murmelte er.
»Tu das, Sergeant. Gegen Vorschriften kann man nicht an. Aber such dir vorher besser ein Hotelzimmer in Gobabis. Ich wette nämlich, Erika wirft dich hochkant hinaus, wenn du ihr Sally mitbringst oder die Kleine ins Waisenhaus steckst.«
Der Sergeant seufzte. Seine Frau, die zierliche Erika, die ihm gerade bis zur Brust reichte, war der einzige Mensch, vor dem er sich fürchtete. Mochte er auch einen ausgewachsenen Bullen umwerfen können, gegen diese zarte Frau hatte er außerhalb der Farmerwettbewerbe noch nie gewonnen. Er sah zu Rose. »Was soll ich denn machen?«, fragte er kläglich.
»Lass Sally bei uns. Es geht ihr gut hier, du hast dich doch selbst davon überzeugt.«
»Aber die Vorschriften. Was wird mein Chefinspektor dazu sagen?«
Rose beugte sich über den Tisch. »Denk an Erika«, drohte sie. »Hat dein Chefinspektor Frau und Kinder?«
Der Sergeant schluckte und nickte. »Drei, und seine Frau ist schon wieder schwanger.«
»Gut, dann gib Sally einfach bei ihm zu Hause ab.«
»Das ... Das kann ich nicht, Rose, das weißt du auch. Ich soll bald befördert werden. Erika braucht einen neuen Wagen. Und die Raten für das Haus müssen bezahlt werden. Ich bin auf die Beförderung angewiesen, verstehst du?«
»Oh, ich verstehe dich besser, als du glaubst, mein Lieber. Was ich jedoch nicht verstehe, ist dein Zögern. Ich biete dir eine Lösung für dein
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